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Ab September könnte es zum weiteren Lehrerstreik wegen „lächerlicher Gehälter“ kommen

Ungarn Heute 2022.04.11.
FIZETŐS

Ministerpräsident Viktor Orbán sprach auf seiner internationalem Pressekonferenz am vorigen Mittwoch unter anderem über die Gehaltserhöhungen für Lehrer. Orbán sagte, die Regierung werde ihr Versprechen einlösen, die Gehälter in diesem und in den nächsten zwei Jahren um je 10 Prozent zu erhöhen. Er räumte jedoch ein, dass die Lehrer zu Recht sagen, dies sei unzureichend, fügte aber hinzu, dass weitere Erhöhungen von der wirtschaftlichen Leistung des Landes abhängen würden. Die Lehrergewerkschaften halten dieses Angebot für „lächerlich gering“ und fordern mindestens eine einmalige Erhöhung um 45 %. Die Gewerkschaften sind der Meinung, dass nur eine deutliche Erhöhung der Gehälter und eine Verringerung der Arbeitsbelastung eine Verschlechterung der Situation im öffentlichen Bildungswesen verhindern könnte. Sollte es im Sommer zu keinem Tarifabschluss kommen, könnte es ab September zu einem weiteren Streik in den Schulen kommen.

„Wir werden die Verhandlungen aufnehmen, sobald die neue Regierung im Amt ist. Wir halten die Lohnerhöhung von 10 Prozent in diesem Jahr und 30 Prozent in drei Jahren, die der Ministerpräsident angekündigt hat, für lächerlich gering“ – so reagierte Erzsébet Nagy, Sprecherin der Demokratischen Lehrergewerkschaft, auf die Äußerungen Viktor Orbáns über die Gehaltserhöhungen für Lehrer.

Die Gewerkschaft fordert eine deutliche Lohnerhöhung auch  für die Beschäftigten im Bildungswesen, d. h. für Sekretärinnen in Schulen und Kindergärten, Verwaltungsangestellte, Lehrassistenten und Wartungspersonal, erklärte Tamás Totyik, der stellvertretende Vorsitzende der Lehrergewerkschaft.

Regierung will erst nach den Wahlen mit den Lehrergewerkschaften verhandeln
Regierung will erst nach den Wahlen mit den Lehrergewerkschaften verhandeln

"Es muss sofort gehandelt werden, um eine weitere Verschlechterung der Lage im Bildungswesen zu verhindern", erklärte die Demokratische Lehrergewerkschaft und fügte hinzu, dass sie ihre Proteste unabhängig vom Wahlsieger fortsetzen werden.Weiterlesen

Immer mehr Menschen gehen aus dem Schuldienst in den Ruhestand, weit mehr als die Zahl derer, die in den Beruf eintreten, zeigen sie eines der brennendsten Probleme des Systems auf.

Während sich im letzten Jahr 9791 Personen für ein Lehramtsstudium an Hochschulen beworben haben, sind es in diesem Jahr nur 8600, die sich überhaupt für ein Lehramtsstudium beworben haben. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass in der Regel ein Fünftel der aufgenommenen Personen eine berufliche Laufbahn einschlägt, während der Rest sich anderweitig um ein Auskommen bemüht

so der stellvertretende Vorsitzende.

Er betonte, wenn die Regierung nicht anerkennt, dass die Löhne deutlich angehoben werden müssen, insbesondere für junge Menschen, werden wir nicht in der Lage sein, sie für den Beruf zu gewinnen.

Wir wollen auf jeden Fall so schnell wie möglich mit der Regierung verhandeln, egal wer für das öffentliche Bildungswesen zuständig ist

betonte Totyik weiter.

Die Lehrgewerkschaften werden sogar eine Fotokampagne starten, um auf die Ernsthaftigkeit der Situation aufmerksam zu machen.

„Wir bitten die Kollegen, eine Reihe von Fotos zu machen, die zeigen, wie viele junge, mittelalte und pensionierte Kollegen im Lehrkörper arbeiten. Daran lässt sich der dramatische Anstieg des Durchschnittsalters unseres Lehrpersonals ablesen, sagte Erzsébet Nagy, Sprecherin der Demokratischen Lehrergewerkschaft.

Unbefristeter Streik der Lehrer beginnt
Unbefristeter Streik der Lehrer beginnt

Die Arbeitsniederlegung bedeutet, dass die Lehrer in den nächsten Tagen keinen oder nur einen Teil des Unterrichts abhalten werden.Weiterlesen

Der Bildungsforscher Péter Radó wies in einem auf Portfolio veröffentlichten Artikel darauf hin, dass die Arbeitsbelastung der Lehrer in Ungarn im Vergleich zu anderen Ländern außergewöhnlich hoch ist.

Die Gewerkschaften, die die Interessen der Lehrer vertreten, halten eine feste Unterrichtszeit von 22 Stunden pro Woche für angemessen, würden aber auch eine reduzierte Arbeitsbelastung von 24 Stunden pro Woche akzeptieren. Die Gewerkschaftsführer erklärten außerdem, dass sie bis zur Einsetzung der neuen Regierung ihre Kollegen befragen würden, um herauszufinden, welche anderen Probleme sie hätten. In den Streikgesprächen möchten sie ein umfassendes Paket von Vorschlägen vorlegen.

Vor einigen Tagen hat sich eine junge Lehrerin in einem offenen Brief an Viktor Orbán gewandt (dessen Mutter auch eine Lehrerin war) und stellte ihm die Frage: „Wenn Ihre Mutter jetzt eine junge Lehrerin wäre, würde es Ihnen leid tun, ihr das Gehalt zu zahlen, das man unbedingt braucht, um ein anständiges Leben zu führen?“

Verzweifelte Briefe an Viktor Orbán

Anfang des Jahre hat sich eine junge Lehrerin in einem offenen Brief an Viktor Orbán gewandt (dessen Mutter auch eine Lehrerin war) und stellte ihm die Frage: „Wenn Ihre Mutter jetzt eine junge Lehrerin wäre, würde es Ihnen leid tun, ihr das Gehalt zu zahlen, das man unbedingt braucht, um ein anständiges Leben zu führen?“

Die Briefschreiberin berichtete, dass sie nach sechs Jahren Ausbildung im Juli 2021 ihr Diplom als Gymnasiallehrerin erhielt, aber sofort mit mehreren Problemen konfrontiert wurde: Als junge Berufstätige hatte sie nur 160.000 Forint netto (ca. 450 Euro) zur Verfügung, von denen fast die Hälfte für die Untermiete verwendet wurde, obwohl sie mit Universitätsstudenten zusammenlebte, die in der Regel nachts Party machten.

Als sogar der Schuldirektor bemerkte, dass ich nicht wie eine Leiche zur Arbeit kommen sollte, musste ich umziehen: Ich fand eine schimmelige Kellerwohnung von 17 Quadratmetern für 70.000 Forint (195 Euro) pro Monat

Die junge Lehrerin hat auch ausgerechnet, dass sie 57 Stunden in der Woche arbeitet, wenn sie nicht nur den Schulunterricht sondern auch andere, mit ihrer Arbeit zusammenhängende Aufgaben mitrechne. „Für 57 Stunden pro Woche erhalte ich 160.000 Forint (ca. 450 Euro) in einem Monat. Dies entspricht einem Nettostundenlohn von 701 Forint (ca. 2 Euro).

(Via: portfolio, Titelbild: Balázs Mohai/MTI)