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„Der Papst soll in Csíksomlyó nicht politisieren“ – Interview mit Pater László Németh aus Rom

Ungarn Heute 2019.05.21.

Obwohl es viele erwarten, der Papst soll in Csíksomlyó gar nicht „politisieren“. Wenn er zum „Internationalen Eucharistischen Kongress“ nach Budapest nicht kommen würde, wäre dies auch keine Botschaft an Ungarn oder an die politische Führung Ungarns. Ungarn Heute fragte Pater László Németh auch darüber, ob der Brand von Notre Dame als ein Zeichen des Verfalls der katholischen Gemeinden in Europa interpretiert werden kann. Der Pfarrer dient nicht nur ungarischen, sondern auch italienischen Anhängern in Rom. Wir trafen ihn im Mai nach einer Heiligen Messe zur Seligsprechung von Erzbischof József Mindszenty. Dabei nahmen rund 150 Mitglieder der „Stiftung Freunde von Ungarn“ aus 29 Ländern der Welt teil, unter ihnen der Pater aus Italien. Interview.

Erzbischof Péter Erdő begrüßte die 150 Mitglieder der „Stiftung Freunde von Ungarn“, die aus 29 Ländern der Welt an der Heiligen Messe für Erzbischof József Mindszenty teilnahmen. Warum ist das wichtig?

Die Menschen konzentrieren sich vor allem nur auf die Perioden des Lebens von Erzbischof Mindszenty, die in Ungarn stattfanden. Zum Beispiel, als er nach dem Krieg Fürstprimas von Esztergom wurde, oder wie er an der Revolution von ’56 beteiligt war. Sie neigen auch dazu, sich viel damit zu beschäftigen, wie er die US-Botschaft verließ und wie sein Prozess verlief. Andererseits wissen es nur sehr wenige, dass er in 1971 in den Westen ausgewandert ist und sich in Wien niedergelassen hat oder später um die Welt gereist ist. In 1991, als die Überreste von Mindszenty zu seiner Beerdigung nach Ungarn gebracht wurden, sagte Otto von Habsburg (der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich und Königs von Ungarn – Red.), dass der Erzbischof aufgrund der „göttlichen Vorsehung“ in den Westen ziehen konnte. Die Tatsache, dass so viele Vertreter von Ungarn aus der ganzen Welt hier, an der Messe teilnahmen – von denen haben sogar viele den Erzbischof Mindszenty auch persönlich getroffen – trägt dabei, dass wir ihn so schnell wie möglich unter den „Seligen“ sehen werden.

Fact

Leben von Mindszenty: József Mindszenty wurde in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges von der rechtsextremen Pfeilkreuzer inhaftiert und nach dem Krieg vom kommunistischen Regime verfolgt. In seinem Schauprozess wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, wegen Spionage, seines angeblichen Gebots, die Republik zu stürzen, und anderer falscher Anschuldigungen. Zur Zeit des Freiheitskampfes von 1956 wurde er aus dem Gefängnis befreit, später in der US-Botschaft versteckt und verließ das Land. Er ist auch zu einem Symbol der Unterdrückung der kommunistischen Macht und der Verfolgung der Religion geworden.

Bewahren in der Diaspora lebenden Ungarn den Kult von Mindszenty? Beispielsweise in Rom, woher Sie kommen?

Ja, wir bewahren ihn in Rom insbesondere: seit 1999 haben wir jedes Jahr eine heilige Messe im Gedächtnis seines Todes in seinem Erzbischofstitel-Tempel. In der Basilika „Santo Stefano Rotondo“ wird die Messe auf Italienisch und nicht auf Ungarisch gehalten. So können auch die Italiener unseren Erzbischof Mindszenty kennenlernen und den Respekt besser verstehen, den die Ungarn für ihn haben.

Foto: Magyar Kurír – Lambert Attila

Die ungarische Pilgerherberge, das „Haus von Sankt Stephan in Rom“, ist von Ihnen geleitet. Dies wird als eine „kleine ungarische Insel“ bezeichnet. Welche Funktion hat das Haus? Wurde es ausschließlich für die ungarischen Pilger gegründet?

Jede Nation hat ihr Zentrum in Rom, das Ungarische wurde aber in 1776 niedergerissen und Mindszenty war derjenige, der den Wiederaufbau initiierte. Das „Haus von Sankt Stephan“ ist einer der wichtigsten Institutionen der Ungarn geworden, da sehr Viele aus der ganzen Welt Spenden gesammelt hatten, um Mindszenty´s Traum zu verwirklichen. Seit den siebziger Jahren funktioniert das Haus und empfängt die Pilger. In der kommunistischen Ära  kamen die Gäste hauptsächlich aus dem Westen. Heutzutage haben wir Gäste vor allem aus Ungarn. Das Haus ist für alle offen. Nicht nur für Pilger, sondern auch für Touristen, die Rom kennenlernen möchten. Wir haben auch wiederkehrende Gäste; zum Beispiel diejenigen, die regelmäßig am Rom-Marathon teilnehmen. Es ist wirklich eine kleine ungarische Insel. Wie laden alle mit Liebe ein.

Haus von Sankt Stephan in Rom, Foto: facebook.com/pg/szentistvan.haz

Papst Franziskus kommt bald nach Csíksomlyó, aber nicht in der Zeit des ungarischen Kirchtags zu Pfingsten, der eine riesengroße Feier des ganzen Ungartums ist. Ist es eine Antwort auf die ungarische Migrationspolitik?

Wenn der Nachfolger des Apostels Petrus nach 1000 Jahren zum ersten Mal wieder ein Marienheiligtum besucht, müssen wir, Katholiken es begrüßen. Natürlich hätte man dies anders organisieren können, aber es ist auch eine Tatsache, dass wir uns Ungarn nicht freuen können, sondern eher alles kritisieren. Ich predige meinen Anhängern in Rom, dass jeder Ungar „seine wachsamen Augen auf Csiksomlyó richten soll“ (Dies ist ein Verweis auf eine Zeile aus dem Gedicht des ungarischen Dichters János Batsányi – Red.). Denn was dort passieren wird, ist nicht nur für Siebenbürgen wichtig, sondern für alle Ungarn der Welt. Wir müssen unser Herz öffnen und glauben, dass sein Besuch eine positive Botschaft tragen wird. Ich denke, wenn Papst Franziskus – wie Johannes Paul II. – nach Siebenbürgen nicht kommen würde, hätten die Kritiker auch ein Problem damit.

Ein Artikel, der vor kurzem in einer renommierten amerikanischen Jesuitenzeitung veröffentlicht wurde, riet dem Papst, sich während seines Besuchs von den „rechtspopulistischen Kräften“ zu distanzieren. Was meinen Sie, wird der Papst dieser Erwartung nachkommen?

Es wird kein politisches Ereignis sein. Er muss hier nicht über Politik reden. Papst Franziskus respektiert Maria zutiefst. Vor jeder Fahrt geht er in die Basilika „Santa Maria Maggiore“ und widmet seinen pastoralen Weg zu ihr. Er wird es diesmal sicherlich auch so tun. Darüber hinaus ist Csíksomlyó ein Maria Heiligengrab. Der Papstbesuch wird ausschließlich ein kirchliches Ereignis sein, und wir müssen uns vor Augen halten, dass er als Nachfolger des Apostels Petrus die Ungarn mit dieser Reise stärken wird. Immerhin erfüllt er damit seine Pflicht.

In Bezug auf die Migration betonte Papst Franziskus mehrmals: „Jeder Fremde, der an unsere Tür klopft, ist eine Gelegenheit, Jesus Christus zu begegnen.“ Das Thema Migration hat nicht nur die europäische Politik, sondern auch die katholische Kirche auseinandergesetzt. Stimmen die Ansichten des Papstes mit denen der katholischen Kirche überein?

Es gibt viele radikal unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft Europas. Die katholische Kirche ist universell, was bedeutet, dass es keinen einzigen akzeptierten Standpunkt gibt. Dies ist kein Dogma, es gibt unterschiedliche Sichtweisen. Als Beispiel erwähne ich, dass die Beziehung zwischen Paul VI. und von Erzbischof Mindszenty war auch nicht ohne Spannung. Es ist jetzt schon ganz klar, dass beide versuchten, der Freiheit der Kirche auf ihre eigene Weise zu dienen, auch wenn sie es sich anders vorstellten. Auch bei der Migration gibt es viele unterschiedliche Meinungen. Der Papst hat einen und die unterschiedlichen Organisationen der Kirche haben alle einen anderen, und jeder versucht, seine eigene Mission zu erfüllen. Sie passen nicht immer gut zusammen, aber wir müssen darauf vertrauen, dass eines Tages alles zusammenpasst. Die Kirche muss das ganze Bild betrachten und die Migration nicht aus der Sicht der täglichen politischen Ereignisse behandeln. Die heutige Welt tendiert dazu, sich auf das „Hier und Jetzt!“ zu konzentrieren, aber das Leben der Kirche ist immer weitreichender. Nur so kann es bewertet werden, was in der Gegenwart passiert.

Foto: Tamás Lénárd

Was meinen Sie, wird Papst Franziskus zum Internationalen Eucharistischen Kongress in 2020 nach Budapest kommen? Er hat bisher keine eindeutige Antwort auf die Einladung gegeben. Viele glauben, dass er sich von der ungarischen Migrationspolitik so distanzieren will…

Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben. In der Geschichte der Eucharistischen Kongresse war der amtierende Papst nicht immer anwesend. Wenn er also nein sagt, sollte ihm nicht zu viel Gewicht beigemessen werden. Aber wenn er kommen würde, wäre das nicht nur für Budapest, sondern auch für die Ungarn der ganzen Welt hervorragend. Es wäre eine schöne Gelegenheit für die Ungarn, den Heiligen Vater kennenzulernen. Hoffen wir, dass es passiert!

Könnte und sollte die Veranstaltung zur Evangelisierung genutzt werden?

Laut Statistik haben die meisten Berufungen zum Priestertum während globaler Ereignisse stattgefunden. Ich hoffe, dass der Internationale Eucharistische Kongress die Gelegenheit nutzen wird, die ungarische Jugend zu erreichen. Ich sehe, dass sie versuchen, ihre Botschaft über soziale Medien und Blogs zu kommunizieren, was eine gute Sache ist. Ungarn braucht Priester und Seelenhirten, und wenn dieses Ereignis dabei helfen könnte, das wäre eine große Hilfe für die ungarische katholische Kirche. Es ist auch meine Pflicht, immer mehr Menschen über die Eucharistie, also über das Opfer, das Jesus Christus für uns gebracht hat, zu informieren. Es ist eine äußerst wichtige Mission, und ich hoffe, dieses Ereignis berührt die Seelen Vieler.

Kardinal Erdő: „Papst Franziskus lehnt unsere Einladung zum Eucharistischen Weltkongress nicht ab“

Sri Lanka erlebte vor einigen Wochen den größten Terroranschlag, der gegen christliche Gemeinschaften seit Jahrzehnten gerichtet wurde. Sollten wir Angst haben, dass in Europa etwas Ähnliches passieren könnte? Sind Christen in Europa darauf vorbereitet?

Wir kennen Tertullians Spruch aus der Frühgeschichte der christlichen Kirche: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche.“ Wenn wir die Tatsache akzeptieren, dass das Christentum am meisten verfolgter Glaube in der heutigen Welt ist, müssen wir hoffen, dass dieses Sprichwort auch heute noch gilt. Um das erste Jahrhundert wurde Ignatius von Antiochien zu den Löwen geworfen. Damals wusste niemand, dass der Konstantinische Edikt 200 Jahre später passieren wird. Die Kirche liegt in Gottes Händen. Auch wenn wir es nicht sehen, müssen wir wissen, dass die Zukunft auch in Gottes Händen liegt.

Viele halten den Brand von Notre Dame für ein ähnliches Zeichen. Für ein Zeichen des Verfalls katholischer Gemeinden in Europa…

Ich denke, es kann als Zeichen interpretiert werden. Der Zusammenschluss der Menschen nach dem Brand zeigt, dass das Christentum für die Europäer wichtig ist. Für die Kirche ist es nicht wesentlich, ob sie eine Zukunft hat oder nicht. Es ist viel wichtiger, die Menschen auf ihre Aufgabe in dieser neuen Situation aufmerksam zu machen.

Und was ist die Aufgabe der Kirche?

Das Heil, das Christus uns gegeben hat, zu verbreiten. Solange in Europa immer mehr Menschen an andere Religionen glauben, wird der Wert dieser Mission steigen. Die Frohbotschaft, die das seit mehr als 2000 Jahren bestehende europäische Christentum bewahren konnte, muss an neue Generationen weitergegeben werden.

 (Beitragsbild: Tamás Lénárd )