Wöchentliche Newsletter

Die chinesische Vorliebe für Petőfi begann mit einer deutschen Übersetzung

Ungarn Heute 2023.08.07.

Anlässlich des Petőfi-Gedenkjahres sprach Magyar Nemzet mit dem Literaturhistoriker László Szörényi über die chinesische Rezeption des ungarischen Nationaldichters.

Petőfis Einzigartigkeit kann von Völkern wahrgenommen werden, die sehr weit von den Ungarn entfernt sind und die eine gewisse Sympathie für sie empfinden, so beispielsweise die Chinesen. „Das ist ein Volk, das mit vollem Respekt zu uns aufschaut, für sie können wir Petőfi auf derselben Stufe mit Shakespeare erwähnen – abgesehen von den chinesischen Dichtern natürlich“, sagt László Szörényi.

 Foto: Li Zhen Árpád Facebook

In China gibt es überhaupt keine Statuen ausländischer Dichter, außer Petőfi, wobei er gleich vier bekommen hat,

betont er.

Er habe ein Mitglied einer chinesischen Delegation, die den ungarischen Schriftstellerverband besuchte, gefragt, wie viele Gedichte von Petőfi die Chinesen seiner Meinung nach kennen. Darauf antwortete die Dame, dass die letzte Umfrage unter gebildeten Menschen ergab, dass sie 17 Gedichte von ihm auswendig können.

Fact

Freiheit und Liebe

sind all mein Streben!

Für meine Liebe

könnt‘ ich das Leben,

doch für die Freiheit

die Liebe selbst geben.“

Originaltitel: Szerelem, szabadság (Übersetzung: Martin Remané)

Dieser ungewöhnliche Petőfi-Kult in China rühre daher, dass der größte chinesische Schriftsteller und Literaturorganisator des 20. Jahrhunderts, Lu Xun, zu einem günstigen Zeitpunkt auf Petőfis Gedichte stieß. Als junger Medizinstudent in Japan fand er 1908 in einem Antiquariat alle Gedichte Petőfis auf Deutsch, und nachdem er sie gelesen hatte, verfasste er eine Flugschrift, in dem er China aufforderte, zur Weltliteratur aufzuschließen und alle Werke Petőfis übersetzen zu lassen, da es keinen größeren Dichter als ihn gebe. Er versuchte auch, Petőfi persönlich zu übersetzen, und später zum Beispiel Kálmán Mikszáth.

‚Freiheit und Liebe sind all mein Streben!‘ ist in China ein geflügeltes Wort,  ähnlich wie (Galileo Galileis)  ‚Und sie bewegt sich doch!‘

Fact

Petőfi ist der ungarische Dichter, den man in allen Ländern kennt.  (…) Er lebte sechsundzwanzig Jahre und ließ ein Lebenswerk von Weltmaßstab zurück. (…) Der Dichter der Freiheit und der Liebe, des Glaubens an das Leben fiel auf dem Schlachtfeld als Kämpfer für die Freiheit.  Genie und Dichterschicksal, die hehrste Vision der Romantiker, fanden in ihm ihre Verkörperung.“ (Géza Engl)

Der Ursprung dieser Beliebtheit Petőfis liegt im Streben der Romantik nach einer Weltliteratur. Vom schottischen Dichter James Macpherson lernten die Ungarn, dass – wenn sie eine Literatur vom Weltrang wollen – die Maßstäbe der Weltliteratur auf die eigene Sprache anwenden und die Geschichte, die Auswahl der Helden und ihre Hintergrundmythologie so gestalten müssen, dass jeder sie verstehen kann. Petőfis Geschichten seien so geschaffen, dass nicht einmal fastende, eingemauerte tibetische Mönche ihnen widerstehen können, meint der Literaturhistoriker.

Auf die Frage, warum ein Dichter des 19. Jahrhunderts den heutigen Lesern so nahe kommen kann, verweist László Szörényi  wiederum auf die chinesische Rezeption. Chinesen würden den ungarischen Dichter nicht ohne Grund lieben: In ihrer fünftausendjährigen Geschichte ist alles passiert, und auch das Gegenteil davon, so dass sie nur das als universell akzeptieren können, was jeder erleben kann, wenn er es will. Das gilt auch für die Kunst von Sándor Petőfi. Der Literat zitiert auch ein Beispiel aus unserem Kulturkreis: Warum war Homer in Athen Pflichtlektüre, bevor die jungen Leute zum Militärdienst einberufen wurden? Weil diejenigen, die zum Militär gingen, Homers Schriften bereits auswendig kannten. Sie waren der Meinung, dass Homer ein vollständiges Bild von der Welt vermittelt; Petőfi scheint einer wie Homer zu sein.

Die erste chinesische Übersetzung eines Petőfi-Gedichts wurde in der April-Ausgabe 1880 der ungarischsprachigen „Blätter für vergleichende Literaturwissenschaft“ im siebenbürgischen Klausenburg (Kolozsvár, Cluj) veröffentlicht. Wilhelm Schott, ein Berliner Professor, der nicht nur Chinesisch und Ungarisch, sondern auch mehrere andere Sprachen verstand, transkribierte Petőfis „Der Busch zittert, weil…“ in lateinischen Buchstaben ins Chinesische. Das übersetzte Gedicht folgte in Sprache und Stil der alten klassischen Tradition. Die Übersetzung wurde von dem chinesischen Diplomaten Chen Jitong (Tsen Ki-Tong), der zu dieser Zeit nach Berlin berufen wurde, verfeinert und poliert. Im Jahr 2016 gelang es einem chinesischen Gelehrten in unermüdlicher und hartnäckiger Arbeit, den Text wieder in chinesische Schriftzeichen zu übersetzen, und da zeigte sich, dass die Übersetzung ein Meisterwerk war.

Foto: Li Zhen Árpád Facebook

In dem Nachruf „Zum Gedenken an die Vergessenen“ des großen chinesischen Schriftstellers Lu Xun, der am 1. April 1933 in der Shanghaier Literaturkritikzeitschrift „Unsere Zeit“ veröffentlicht wurde, lernten die chinesischen Leser erstmals Petőfis chinesische Version von „Freiheit und Liebe“ kennen, die später zu einem berühmten Motto wurde. Der Artikel erzählte die Geschichte und das Schicksal von fünf jungen Revolutionären, die im Februar 1931 wegen ihrer Aktivitäten gegen die Kuomintang heimlich hingerichtet wurden. Erst dann erhielt Lu Xun das übersetzte Gedicht von Bai Mang, dem jüngsten Mitglied der „Fünf“, in einem deutschsprachigen Petőfi-Band.

Östliche Öffnung mit Petőfis Dichtung
Östliche Öffnung mit Petőfis Dichtung

Die Preise für die Gewinner des internationalen literarischen Übersetzungswettbewerbs wurden verliehenWeiterlesen

Beitragsbild: Li Zhen Árpád Facebook