„Inmitten der durch die bevorstehenden Wahlen verursachten Gefühlsaufwallungen sollte man auch den wirklichen Fakten etwas Beachtung schenken. Sehen wir uns einmal an, wie die wichtigsten Parameter der ungarischen Wirtschaft 2010 aussahen!” – schrieb die bekannte Wirtschaftswissenschaftlerin Magdolna Csath auf dem Onlineportal der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Idők. Der Artikel wurde von budapester.hu übersetzt. Hierbei die ganze Analyse.
Werfen wir insbesondere einen Blick auf das Haushaltsdefizit im Verhältnis zum BIP! Gemäß den EU-Regeln darf dieser Wert nicht über 3 Prozent liegen. 2010 lag er jedoch bei 4,5 Prozent. Wenn wir noch ein wenig weiter zurückblicken, dann stoßen wir auf noch dramatischere Werte. 2005 lag das Defizit bei 7,8 Prozent, 2006 stieg es sogar auf 9,3 Prozent. Damit war Ungarn in den Jahren 2005 und 2006 innerhalb der EU der größte Defizitsünder. Erst 2007 wurden wir von Griechenland überholt.
Wahlhaushalt ließ Budget aus dem Ruder laufen
Bevor man jetzt vermutet, all das wären die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, muss klargestellt werden, dass zu dieser Zeit noch absolut keine Rede von einer Krise war. Die großen Defizite hatten vor allem zwei Gründe: die schlechte Wirtschaftspolitik der Regierung und die Verschleuderung von finanzieller Mitteln vor und nach den Wahlen 2006. Es lohnt sich besonders auf Letzteres zu achten, denn während die Opposition die Regierung jetzt wegen zu hoher Kampagnenausgaben kritisiert, müssen wir uns heute zumindest keine Sorgen machen, dass das Budget erneut aus dem Ruder läuft.
Das aufgeblähte Haushaltsdefizit musste 2007 nach den Wahlen sogleich gesenkt werden, was die damalige Regierung dann auch mit drastischen Sparmaßnahmen tat. Diese würgten jedoch die Wirtschaft ab. So kam das Wirtschaftswachstum 2007 praktisch zum Erliegen. Parallel dazu stieg die Arbeitslosigkeit auf 7,5 Prozent, sanken die Reallöhne und der Realwert der Renten. All das führte wiederum dazu, dass der Konsum drastisch zurückging, was wiederum die wirtschaftlichen Aussichten der ungarischen Kleinunternehmer drastisch verschlechterte, die für den ungarischen Markt produzierten. Gleichzeitig begann unser Schuldenberg zu wachsen. Während der Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt 2002 noch bei 54,6 Prozent gelegen hatte, stieg dieser Wert bis 2010 auf über 80 Prozent!
Wegen der unsicheren wirtschaftlichen Aussichten begannen die Ratingagenturen, Ungarn nacheinander kräftig abzuwerten. Das machte es nahezu unmöglich, die Staatsschulden auf marktwirtschaftlicher Grundlage zu finanzieren. 2008 trat dann der Internationale Währungsfonds auf den Plan und gewährte Ungarn zu wesentlich schlechteren Bedingungen als anderen Ländern einen Kredit über 5.400 Milliarden Forint – offiziell zur „Rettung“ der ungarischen Wirtschaft. Die Anführungszeichen sind an dieser Stelle deswegen begründet, weil es dem Währungsfonds auf Kosten der lokalen Selbstverwaltungen und der kleinen Unternehmen vor allem um die Rettung des Bankensektors ging.
Die Weltwirtschaftskrise traf Ungarn in einem angeschlagenen Zustand
Die Krise von 2008 und 2009 war deswegen so dramatisch für Ungarn, weil sie die ungarische Wirtschaft in einem bereits angeschlagenen Zustand erreichte. In kurzer Zeit stieg die Arbeitslosigkeit dramatisch an und erreichte bis 2010 einen Wert von 11,8 Prozent. Die Energiepreise stiegen auf das 40fache des Wertes von 1990.
Es war nicht einfach, die ungarische Wirtschaft aus dieser prekären Lage zu befreien. Trotzdem schaffte es die neue Regierung, das Haushaltsdefizit bis 2012 bereits unter 3 Prozent zu senken – genauer gesagt auf 2,4 Prozent. Auch der Abbau des Schuldenbergs begann, ebenso die Senkung der Arbeitslosigkeit. 2009 betrug die Zahl der Beschäftigten 3,75 Millionen, derzeit beträgt sie 4,41 Millionen. Damals gab es 420.000 Arbeitslose, heute sind es noch 177.700. Derzeit beträgt unsere Arbeitslosenrate 3,8 Prozent, womit wir innerhalb der EU auf dem vierten Platz liegen. Innerhalb der Eurozone liegt die durchschnittliche Arbeitslosenrate übrigens bei 9 Prozent.
Es gibt noch viel zu tun!
All das bedeutet freilich nicht, dass nicht auch noch offene Aufgaben existieren würden. So gibt es beispielsweise 165.000 Beschäftigte in öffentlichen Beschäftigungsprogrammen, die einen guten Beruf benötigen, um einen richtigen Arbeitsplatz zu finden. In der Altersgruppe der 55- bis 64-jährigen ist es schwer, Arbeit zu finden. In dieser Altersgruppe beträgt das Beschäftigungsniveau lediglich 53,8 Prozent. Innerhalb der Gruppe der 15- bis 24-jährigen ist hingegen die Arbeitslosigkeit mit 11 Prozent immer noch zu hoch. Eine Lösung kann in diesem Fall die Verbesserung des Bildungsniveaus der Betroffenen darstellen.
Neben quantitativen Ergebnissen müssen wir uns weiterhin um qualitative Verbesserungen Gedanken machen. Es ist natürlich gut, dass es viele Arbeitsplätze gibt, es ist aber nicht egal, wie die Qualität dieser Arbeitsplätze beschaffen ist. Auch die Sicherheit und die Lebensqualität sind wichtige Elemente des Wohlstands. Internationale Analysen erinnern uns daran, dass bei uns der Anteil der Schicht- und Nachtarbeit relativ hoch ist. Außerdem verbringen bei uns die Menschen zu viel Zeit, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen.
Die Lösung kann offensichtlich darin bestehen, möglichst viele neue Arbeitsplätze in ländlichen Regionen und in Kleinstädten zu schaffen. Damit wir noch stärker am technologischen Fortschritt partizipieren, ist es hingegen notwendig, das Bildungsniveau der Arbeitnehmer zu erhöhen.
Es gibt also noch viel zu tun. Zum Glück stehen uns heute aber die Möglichkeiten und die Mittel zur Verfügung, um die Entwicklung der Wirtschaft und der Gesellschaft immer mehr auf einen qualitativen und nachhaltigen Wachstumspfad zu führen. Das hat nicht zuletzt damit etwas zu tun, dass wir 2018 nicht dort ansetzen müssen, wo wir 2010 begannen.
(Die Autorin ist Wirtschaftswissenschaftlerin. Der hier wiedergegebene Kommentar erschien am 3. April auf dem Onlineportal der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Idők. Übersetzt von budapester.hu Beitragsbild: AFP )