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„Eine Stimme der Subkultur, die lauter schreit, als die Musen singen“ – Skandal in Klausenburg

Ferenc Rieger 2024.02.06.

Das Lapidarium des Nationalmuseums für die Geschichte Siebenbürgens in Klausenburg (Kolozsvár, Cluj) wurde nach mehr als 30 Jahren für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, um dann bereits am nächsten Tag angeblich aus „technischen Gründen“ wieder geschlossen zu werden. Der tatsächliche Grund für die Schließung: Bürgermeister Emil Boc war der Meinung, dass das Lapidarium nicht die rumänische Kultur widerspiegelt.

Über die Hintergründe dieses Skandals sprach das investigative Wochenblatt Gazeta de Cluj mit dem Kunsthistoriker Ciprian Firea, der eingangs erläuterte, das ein Lapidarium eine Sammlung von steinernen Artefakten ist, die für eine bestimmte Epoche oder einen bestimmten Kunst- und Architekturstil repräsentativ ist.

Am 30. Oktober 2023 wurde das mittelalterliche Lapidarium wieder eröffnet. Genauer gesagt handelt es sich um das Lapidarium des Mittelalters und der Vormoderne mit Objekten, die zwischen ca. 1200 und 1800 angefertigt wurden.

Ciprian Firea. Foto: Cultură în Mișcare Facebook

Die Trennung zwischen dem römischen Lapidarium und dem mittelalterlichen Lapidarium ist höchstwahrscheinlich auf die Art und Weise zurückzuführen, wie die Sammlungen des heutigen Klausenburger Museums aufgebaut sind. Die Trennung der Lapidarien ist an sich nichts Schlechtes oder Gutes, sie können gleichermaßen gut zusammen oder getrennt arbeiten, wichtig ist nur, dass die Stücke zugänglich sind. In dem Raum, in dem die mittelalterlichen Artefakte untergebracht waren, befanden sich verschiedene Organisationen, die nichts mit der Erhaltung, Erforschung und Popularisierung des kulturellen Erbes zu tun hatten. Die Spezialisten hatten noch Zugang zu den römischen Artefakten, nachdem der Zugang zu den Mittelalterlichen nicht mehr möglich war, erklärt Ciprian Firea.

Foto: Ileana Burnichioiu Facebook

Die meisten Objekte aus dem mittelalterlichen und vormodernen Lapidarium stammen aus Klausenburg und Umgebung, aber es besteht kein Zweifel, dass einige dieser Artefakte wirklich sehr wertvoll sind. Der Kunsthistoriker nennt als Beispiel eine Reihe von Tür- und Fensterrahmen, die aus dem teilweise abgerissenen Haus eines großen Renaissance-Intellektuellen stammen, der in Klausenburg lebte. Es handelt sich um Adrianus Wolphardus, einen Siebenbürger Sachsen aus Straßburg am Mieresch (Nagyenyed, Aiud), der in Wien zur Schule ging, in Bologna promovierte, Kanoniker der Kathedrale von Weißenburg (Gyulafehérvár, Alba Iulia), Bischofsvikar und von 1529 bis zu seinem Tod 1544 Pfarrer der Klausenburger St. Michael Kirche war. Der Humanist ließ in Klausenburg eines der prächtigsten Renaissancehäuser des heutigen Rumäniens errichten, ein Haus, das sowohl seinen humanistischen Geschmack und seine Vorliebe für die von der klassischen Antike inspirierte Kunst als auch seine beträchtlichen finanziellen Möglichkeiten widerspiegelte.

Seit 30 Jahren haben wir keinen direkten Zugang mehr zu diesen kulturellen und künstlerischen Schätzen, außer durch das Wohlwollen von Kollegen“,

bedauert Ciprian Firea.

Emil Boc. Foto: Emil Boc Facebook

Die Schließung des Lapidariums am nächsten Tag nach der Eröffnung im Beisein der Kulturministerin wird auf dem Hintergrund des immer stärker werdenden rumänischen Nationalismus gesehen. Bürgermeister Emil Boc, der einst das schwierige Erbe seines nationalistischen Amtsvorgängers mit dem Versprechen antrat, die Völkerverständigung in der Stadt zu fördern, hielt eine „völlig uninspirierte Rede, als stammte sie aus der der Funar-Ära“, so der Kunsthistoriker. Da es aus dieser Zeit kaum rumänische Artefakte aus Stein gibt, vermisste der Bürgermeister das römische Lapidarium, das, zumindest nach Ansicht der rumänischen Nationalisten, mehr mit den Rumänen zu tun hat, als beispielsweise die Tür- und Fensterrahmen des Wolphardschen Hauses. Darüber hinaus sei die Wehleidigkeit des Politikers, „keine Inschriften in rumänischer Sprache mit lateinischen Buchstaben“ gesehen zu haben, fehl am Platz, meint Ciprian Firea, der auf die hinlänglich bekannte Tatsache hinweist, dass die Rumänen das lateinische Alphabet erst seit dem 19. Jahrhundert verwenden.

Auf die Einladung des Reporters hin, die skandalöse Schließung des kaum eröffneten Lapidariums zu bewerten, sagt der Klausenburger Kunsthistoriker:

Es ist eine Stimme der Subkultur, die lauter schreit, als die Musen singen“.

Die Stellungnahme Ciprian Fireas zeugt von gesundem Menschenverstand. Es ist empörend, dass das Kulturerbe durch die nationalistische Verblendung eines wahlkämpfenden Bürgermeisters als Geisel genommen wird. Die Wählerschaft, an die er sich wendet, ist wenig gebildet, nicht im Geringsten an „hoher“ Kultur interessiert, dafür aber um so nachtragender. Den Geschmack dieses ungehobelten Teils der Bevölkerung zum Maßstab der Kulturpolitik zu machen, ist eine Missachtung der Urbanität, auf die Klausenburg stolz ist. Die einzig angemessene Antwort wäre, Emil Boc bei den nächsten Wahlen das Vertrauen zu entziehen. Obwohl das Interview in Siebenbürgen hohe Wellen geschlagen hat, es ist davon auszugehen, dass weder Politiker der ungarischen oder deutschen Minderheit noch Fachleute und Intellektuelle die erforderliche Zivilcourage aufbringen werden, um bei dem mächtigen Stadtoberhaupt die Wiedereröffnung des Lapidariums zu erwirken. Zu stark ist nämlich der Parteien übergreifende Klüngel in der einstigen „civitas primaria“ Siebenbürgens und darüber hinaus.
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Beitragsbild: Muzeul Național de Istorie a Transilvaniei Facebook