Die Europäische Kommission hat einen fast 300-Milliarden-Euro-Plan vorgelegt, der die Abhängigkeit der Europäischen Union von russischen Energieimporten "deutlich vor 2030" beenden soll, berichtet Politico.Weiterlesen
Während in Deutschland vor allem moralisch über Antworten auf den russischen Angriff auf die Ukraine debattiert wird, orientiert sich Ungarn nüchtern an seinen nationalen Interessen. Eine Bestandsaufnahme. Der Artikel wurde von Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts am Mathias Corvinus Collegium in Budapest verfasst. Der Text erschien auf dem Portal Preußische Allgemeine.
Während der Krieg in der Ukraine in vielen Bereichen zu einem Paradigmenwechsel der deutschen Politik führte und vermeintlich sicher geglaubte Positionen binnen kürzester Zeit geräumt wurden, ist die Politik in Ungarn zumindest in dieser Frage berechenbarer. Insbesondere in der Frage eines möglichen Importverbots von russischem Öl wandelt sich die deutsche Position auch aufgrund äußerer Umstände sehr schnell, während die Ungarn vorsichtiger agieren.
Ungarn als verlässlicher Teil der westlichen Gemeinschaft
Es herrscht Einigkeit in Europa: Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine diskreditiert sich Russland als verlässlicher Partner auf dem internationalen Parkett und zerstört ein über Jahrzehnte aufgebautes Vertrauen, das freilich immer fragil blieb. Die westliche Wertegemeinschaft aus EU und NATO ist sich mit allen ihren Mitgliedern einig, diesen Verstoß gegen das Völkerrecht nicht hinzunehmen. Die russische Aggression wird verurteilt und die territoriale Integrität der Ukraine sowie die Einstellung der Kampfhandlungen gefordert. Das Sanktionsregime soll Russland an seiner empfindlichsten Stelle, seiner Wirtschaft, treffen.
Ungarn ist entgegen anderslautender Unterstellungen vollumfänglich bei allen Sanktionen dabei, unterstützt die EU-Integration der Ukraine und hieß seit Kriegsbeginn mehr als 700.000 Flüchtlinge aus der Ukraine willkommen. Als Teil der westlichen Werte-, Verteidigungs- und politischen Gemeinschaft trägt Ungarn das Maßnahmenbündel mit und bürdet sich große Lasten sowohl bei der Versorgung der Flüchtlinge als auch bei den wirtschaftlichen Folgen der Russland-Sanktionen auf.
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Warum ein Energieembargo?
Bei weitergehenden Sanktionen wie etwa einem Öl- oder Gasembargo tut jedoch eine Besinnung auf die Folgen und Wirkungen solcher Schritte not. Während die deutschen Medien beziehungsweise die Medienöffentlichkeit die Politik immer mehr vor sich hertreiben und eine schärfere Sanktionierung Russlands fordern, ist man in Ungarn besonnener.
Nach den gängigen in Deutschland vorgetragenen Argumenten könnte ein Importstopp Russland um wichtige Einnahmen bringen, das Land finanziell und wirtschaftlich destabilisieren und somit das Kriegsende beschleunigen. Diese Mutmaßung beruht auf der Annahme, ein Importverbot führe automatisch zu einer Schwächung Russlands, infolge derer die russische Führung wohl nicht anders könne, als von ihrem Angriffskrieg abzusehen. Nach allgemeiner Auffassung ist es noch viel wünschenswerter, wenn Russland von der Ukraine vollständig besiegt wird.
Wie realistisch diese Einschätzungen sind, kann heute wohl niemand mit Gewissheit sagen, auf jeden Fall sind sie ambitioniert, optimistisch und beruhen auf vielen Unbekannten. Sie offenbaren aber eine Grundströmung der deutschen Gesellschaft und Politik, nämlich den idealistischen und idealisierenden Glauben, eine bessere Welt zu schaffen und dabei beispielhaft voranzugehen.
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Ungarische Positionen
Dahingegen wird in Ungarn von Regierung und Bevölkerung mehrheitlich die Position vertreten, dass die beste Beendigung des Konflikts ein Friedensschluss zwischen den Kriegsparteien ist. Zwar ist man mit den Opfern dieses Angriffskrieges, den Ukrainern, voll und ganz solidarisch, erkennt aber auch die potentiellen Gefahren, die von Russland in militärischer, politischer und geostrategischer Sicht ausgehen, an. Insbesondere die atomare Bedrohung durch Russland wird als eine Grundkonstante verstanden, die eigentlich einen ausverhandelten Friedensvertrag und eine für beide Seiten gesichtswahrende Lösung wünschenswert erscheinen lassen müsste.
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Bezüglich der Energiesanktionen erkennen die Ungarn aber, dass seit dem Einsetzen der Kampfhandlungen die Preise rasant gestiegen sind, ohne dass ein konkretes Embargo diese überhaupt hätte anheizen können. Allein die Diskussionen in Europa um eine politisch gewünschte Verknappung der Energieträger Öl und Gas führten bereits zu einem rasanten Preisanstieg. Auch wird immer mehr offenbar, dass Russland mit deutlich weniger Ausfuhren etwa nach Deutschland immer mehr Einnahmen generieren kann und zudem aufgrund der global gestiegenen Energiepreise auf noch höhere Einkünfte spekulieren darf. Dabei finden sich immer wieder Abnehmer, die weder politisch noch wirtschaftlich ein Problem mit russischen Energieträgern haben, ja das Land sogar mit ihren Verlautbarungen unterstützen.
Die alles entscheidende Diskussion in Ungarn kreist aber weniger um die Lage Russlands, sondern eher um die eigenen Zukunftsaussichten. Dabei sind sich die Ungarn sicher, dass ein Embargo gegen russisches Öl die heimische Wirtschaft schwer treffen würde. Sie können die kritischen Kommentare aus anderen Teilen Europas nicht nachvollziehen, wonach „der Profit wichtiger als ukrainisches Blut“ sei. Denn die lebensbedrohlichen Auswirkungen auf die eigene wirtschaftliche Existenz gefährden ihr eigenes Land. Die Wirtschaft liefert die Lebensgrundlagen der Menschen, und den Ukrainern ist auch nicht geholfen, wenn sich die Länder Europas ruinieren.
Die Tricks anderer EU-Länder
Andere Länder wie etwa Lettland wenden fragwürdige Praktiken an, um das politisch gewünschte Ergebnis, also weniger Importe aus Russland, vorweisen zu können. So sollen Medienberichten zufolge auf offener See Rohöllieferungen aus Russland mit Lieferungen aus anderen Ländern vermischt worden sein, um das Herkunftsland Russland zu kaschieren. Mit der Eigenbezeichnung „Latvian Blend“ kursiert dafür auch ein attraktiv klingender Markenname.
Ungarn verfügt bekanntlich über keinen Zugang zum Meer. Die russischen Lieferungen an Öl und Gas erreichen das Binnenland Ungarn über diverse Pipelines. Im Sinne der Quellendiversifizierung verfügt das Land über sechs Gaseintrittspunkte. Die Energiepreise in Ungarn sind aufgrund langfristiger Verträge im internationalen Vergleich besonders günstig, die Verbraucherpreise sind auf 20 Cent pro Kubikmeter begrenzt, die Strompreise beziffern sich auf 10 Cent pro Kilowattstunde. Das Land setzt übrigens wie viele andere Länder klar auf Atomstrom.
Wirtschaftspolitische Geisterfahrt
Das Agieren vieler embargofreundlicher Länder zeigt, dass trotz politischer Bekenntnisse und trotz anderslautender Absichtserklärungen in weiten Teilen Europas doch kein Auskommen ohne russische Energieträger ist
Die Ungarn haben dies erkannt und argumentieren besonnen, vorausschauend und im Sinne ihrer eigenen Bevölkerung. Ungarn spielt in dieser Hinsicht vollkommen mit offenen Karten und bezieht klar Position, von der übrigens in den letzten Monaten seitens der politischen Führung nicht abgewichen wurde. Denn nach ungarischer Sichtweise hat sich an der Grundfrage Krieg oder Frieden seit dem 24. Februar nichts geändert: Russland ist und bleibt eindeutig der Aggressor, was die neue ungarische Staatspräsidentin Katalin Novák bei ihrer Amtseinführung am 14. Mai wieder glasklar aussprach.
Mit Blick auf Deutschland ist zu befürchten, dass die energiepolitische Zukunft des Landes fraglich sein könnte. Schon vor dem Ukrainekrieg waren die Preise in Deutschland stark angestiegen, und auch die Fragen der Volatilität der Energieerzeugung, des Transports und der Speicherkapazitäten stellen große Probleme dar
Deutschland hält weiterhin am gleichzeitigen Kohle- und Atomausstieg fest und setzt voll auf Erneuerbare Energien. Andere Länder bevorzugen den Ausbau ihrer nuklearen Kapazitäten.
Dabei sind die Auswirkungen des Ukrainekrieges noch nirgendwo voll absehbar. Die Forderungen nach einem Importembargo auf russisches Öl und Gas könnten unter den gegebenen internationalen und nationalen Rahmenbedingungen womöglich zu einer wirtschaftspolitischen Geisterfahrt führen. Es wäre eine Überlegung wert, auch auf andere Länder in Europa zu schauen.
(Artikel geschrieben von Dr. Bence Bauer, Direktor des Deutsch-Ungarischen Instituts am Mathias Corvinus Collegium in Budapest, www.mcc.hu, Via: paz.de, Titelbild: MTI – Attila Balázs )