Trotz der Coronapandemie konnte unter strikter Einhaltung der Hygienevorschriften am Abend des 8. Septembers 2020 im Budapester Urania Filmtheater die Uraufführung des ungarischen Dokumentationsfilms „Nincs Parancs“ stattfinden. Der Film unter der Regie von Péter Szalay beleuchtet mehrere Einzelschicksale in Deutschland und Ungarn im Jahr der Wende 1989. Im Mittelpunkt dabei stehen die Ereignisse im Rahmen des Paneuropäischen Picknicks in Sopron an der ungarisch-österreichischen Grenze und die Maueröffnung in Berlin.
Das Zeitdokument beschreibt eindrucksvoll die unterschiedlichen Situationen der Protagonisten, und welche Rolle sie während der historischen Ereignisse gespielt haben.
Es ist der Sommer 1989. Der Eiserne Vorhang trennt Ost- und Westeuropa seit fast vierzig Jahren. Zu diesem Zeitpunkt hält es noch niemand für möglich, dass die Teilung Europas und der Welt bald Geschichte sein und die Mauer in Berlin bereits in wenigen Monaten fallen würde.
Am 19. August versammeln sich wie geplant die Organisatoren des Paneuropäischen Picknicks, um symbolisch ein Stück des Grenzzauns zu durchtrennen. Doch am Nachmittag erreichen mehrere Gruppen von DDR-Bürgern, die immer noch stark gesicherten Grenze und beschließen kurzerhand, durch das Tor im Zaun durchzubrechen. Dass an diesem Nachmittag etwa 600 Ostdeutsche über die Grenze flüchten und die Grenzüberquerung nicht in einem Blutbad endet, ist vor allem Árpád Bella zu verdanken, dem ungarischen Grenzoffizier, der an dem Tor seinen Dienst tat. Mangels klarer Befehle entscheidet er sich dazu, die DDR-Bürger passieren zu lassen und nicht einzugreifen. Man hätte die Leute nur mit Gewalt aufhalten können, sagt er später.
„Ich musste innerhalb von Sekunden entscheiden, ob ich sie aufhalte oder nicht“
Von diesen Ereignissen erfährt auch Gundula Schafitel, eine DDR-Bürgerin, die mit ihrem Partner Kurt-Werner Schulz und dem gemeinsamen Sohn Johannes am Plattensee Urlaub macht. Sie beschließen, ebenfalls nach Sopron zu fahren und die Flucht zu wagen. Grenzpolizei erwischt sie jedoch bei ihrem Versuch, die Grenze zu überqueren. Die junge Familie sieht für sich kein Zurück mehr, weshalb sie noch in derselben Nacht entscheiden, mit Hilfe eines Einheimischen, einen zweiten Versuch zu unternehmen, diesmal bei Lutzmannsburg. Wiederum werden sie entdeckt. Gundula, ihr Partner und Sohn ergeben sich den Grenzschützern nicht und laufen über die Grenze. Dort kommt es zu einem Handgemenge, bei dem Kurt-Werner tödlich verletzt wird. Wenig später lässt man Gundula Schafitel mit Johannes in den Westen ausreisen. Kurt-Werner Schulz ist das letzte unmittelbare Opfer des Eisernen Vorhangs, zwei Monate später fällt die Mauer in Berlin.
Harald Jäger, diensthabender Oberstleutnant am Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin, war am 9. November 1989 in einer beinahe identischen Situation wie sein ungarischer Amtskollege Bella. Als die Massen friedlicher Demonstranten den Grenzübergang passieren wollen, entscheidet sich schließlich auch Jäger, die Menschen ausreisen zu lassen. Jahre später treffen sich die beiden Grenzschützer und tauschen ihre Erlebnisse aus. Dass sie beide damals so besonnen handelten machte auch sie zu Wegbereitern der Wende.
(Der Bericht wurde von der Konrad-Adenauer-Stiftung geschrieben. Am 8. September 2020 veranstaltete die Dunatáj-Stiftung mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung die ungarische Kinopremiere des Dokumentationsfilms „Nincs Parancs!“ („Kein Befehl“) von Regisseur Péter Szalay im Urania Filmtheater in Budapest, an der etwa 150 Personen teilnahmen, Beitragsbild: Tamás Urbán – Fortepan)