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Renovierte Kirchen, schrumpfende Gemeinden und viel Gottvertrauen

Ferenc Rieger 2022.09.23.

Fast fünfhundert ungarische Kirchen in Siebenbürgen wurden in den letzten fünf Jahren dank der Zuschüsse der ungarischen Regierung vollständig oder teilweise renoviert.

In einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit Béla Kató, dem Bischof des Siebenbürgischen Reformierten Kirchendistrikts wurden die wichtigsten Meilensteine dieses ehrgeizigen kirchlichen Unterfangens besprochen.

Die von den historischen ungarischen Kirchen beantragte Unterstützung wurde in vielen Gemeinden durch EU-Zuschüsse und, in geringerem Umfang, durch staatliche und kommunale Unterstützung aus Rumänien ergänzt.

Seit dem Anschluss Siebenbürgens an Rumänien vor über 100 Jahren sind keine umfangreichere  Kirchenrestaurierungen mehr durchgeführt worden. Entsprechend groß ist der Nachholbedarf, dessen Gegenwert auf etwa 500 Millionen Euro geschätzt wird. Der rumänische Staat steuert jährlich etwa 500.000 Euro bei, der Löwenanteil der Beiträge kommt von der ungarischen Regierung. Geschrumpfte und verarmte Gemeinden können die kostenaufwendigen Restaurierungen denkmalgeschützter Gotteshäuser nicht verkraften.

Die Reformierte Kirche hat mittels Fragebögen den Renovierungsbedarf ermittelt. Erwartungsgemäß konzentriert sich die Kirchenleitung auf Kirchen, die noch für Gottesdienste benutzt werden, auch wenn vielerorts die Gemeinden aufgrund der Landflucht, Auswanderung oder Assimilation aus wenigen Dutzenden Mitgliedern bestehen. Nach menschlichem Ermessen ist die Zukunft dieser stark schrumpfenden Gemeinden besiegelt, sollte keine baldige Trendwende stattfinden, jedoch ist die Pflicht der Kirche allen Menschen seelsorglich beizustehen. Kunstgeschichtlich besonders wertvolle, aber verwaiste  Kirchen im südlichen Siebenbürgen wurden mit staatlicher Hilfe aus Budapest restauriert. Auch wenn sie keine Gemeinden mehr beherbergen, sind sie für die ganze Nation von herausragender Bedeutung.

Fact

Die Reformierte Kirche in Rumänien ist hauptsächlich in den ungarisch geprägten Teilen des Landes präsent. Entsprechend ist Ungarisch die dominierende Kirchensprache. Die Mehrheit der Gemeinden befindet sich in Siebenbürgen. Laut Volkszählung von 2002 bekannten sich landesweit 698.550 Personen oder 3,2 % der Bevölkerung zur evangelisch-reformierten Konfession. Die Kirche ist heute in zwei Distrikte mit Sitz in Großwardein (für das westliche Rumänien) und Klausenburg (für Siebenbürgen) eingeteilt. Anfang des Jahres gab es im siebenbürgischen Distrikt 291.939 Kirchenmitglieder, was eine starke Schrumpfung vermuten lässt (Die Ergebnisse der diesjährigen Volkszählung in Rumänien werden frühestens im Dezember veröffentlicht).

In Zusammenarbeit mit der Unitarischen Kirche Siebenbürgens und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien (beide ebenfalls mehrheitlich ungarisch geprägt) betreibt die Reformierte Kirche das Protestantisch-Theologische Institut in Klausenburg.

Auf die Querellen rund um Gebäuden der Kirche, die mit ungarischen Steuergeldern gebaut oder renoviert wurden (wir berichteten hier und hier) und dem ungarischsprachigen Bildungswesen dienen sollten, angesprochen, betonte der Bischof, dass der Erhalt der Muttersprache eine Garantie für die Zukunft der Kirchengemeinden ist. Die Geldgeber haben die Finanzierung an die Bedingung geknüpft, dass diese Einrichtungen gezielt der ungarischen Gemeinschaft dienen sollen. Dort, wo rumänische Gruppen oder Klassen einziehen, kann nur der muttersprachliche Unterricht garantiert werden, nicht aber das ungarische Umfeld: Schulfeier, Projekte, begleitende Veranstaltungen, die eine umfangreiche Verwendung der Muttersprache in und außerhalb der Schule gewährleisten.

Im Laufe des Gesprächs wurde der Bischof, der an Dankgottesdiensten in den renovierten Kirchen teilgenommen hat, auch darüber befragt, worüber er mit seinen Gemeindemitgliedern spricht und welche Sorgen die Menschen haben.

Die vollen Gotteshäuser mit festlich, oft in Volkstracht bekleideten Gemeindemitgliedern können nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Menschen sich Sorgen machen um die Zukunft ihrer Gemeinden.

Konnte vor 120 Jahren der reformierte Bischof Domokos Szász (1838-1899) noch von jährlichen Zuwächsen von 6-7000 Kirchenmitgliedern berichten, so muss Béla Kató mit einer jährlichen Schrumpfung in der gleichen Höhe rechnen.

Die große Kluft zwischen den Generationen und die allgemeine Verunsicherung angesichts des Krieges im Nachbarland kamen auch zur Sprache. Der Bischof möchte seine Kirche als eine Gemeinschaft verstanden wissen, die der Sprachlosigkeit zwischen der Generation entgegen steuert und als Fels in der Brandung christliche Werte, die das Überdauern der Reformierten in Siebenbürgen ermöglicht haben, bewahrt und für die Gegenwart neu buchstabiert.

Aufhorchen lässt eine Aussage des ansonsten stets diplomatisch auftretenden Kirchenmanns, dem beste Beziehungen zum ungarischen Regierungschef nachgesagt werden. Er appelliert an die Umsicht der siebenbürgischen Ungarn, jeder soll – so der Bischof – aufpassen, was er sagt und tut, denn in einer von Krieg und Wirtschaftskrise geprägten Gegenwart seien in erster Linie die ethnischen Minderheiten bedroht.

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Bildbeitrag: Siebenbürgisches Reformiertes Kirchendistrikt Facebook