Es scheint, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine die Parteipräferenzen der ungarischen Bevölkerung vor den bestehenden Parlamentswahlen nicht wesentlich verändert hat.Weiterlesen
Eine Woche vor den Parlamentswahlen äußern sich linke Kommentatoren in ihren Erwartungen weniger optimistisch als die Kollegen des Regierungslagers. Presseschau von budapost.de.
In Jelen beschreibt der Soziologe Imre Kovách die zwei sich gegenüberstehenden Lager als zahlenmäßig etwa gleich stark. Daher dürfte der Wahlausgang davon abhängen, welches von ihnen mehr unentschlossene Wähler – etwa 18 Prozent der Stimmberechtigten – werde von sich überzeugen können. Seinen Untersuchungsergebnissen zufolge existierten große Unterschiede innerhalb der Wählerschaft, wobei die Unterstützung für die gegenwärtig Herrschenden umgekehrt proportional zur Größe einer bestimmten Ortschaft sei: je kleiner desto höher der Anteil der Regierungsbefürworter, so Kovách. Und je gebildeter die Wähler seien, desto geringer sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie für die Regierung stimmen würden, obwohl die gebildeten Ungarn hinsichtlich ihrer materiellen Bedingungen zu den Gewinnern der letzten zwölf Jahre unter Ministerpräsident Orbán gehörten, unterstreicht der Soziologe.
Im Wochenmagazin Magyar Narancs weist der Politikwissenschaftler Gábor Török darauf hin, dass der Krieg in der Ukraine die Wählerschaft von Ministerpräsident Orbán gespalten habe und somit eine Gefahr für seinen Verbleib an der Macht darstelle. Dennoch sei dem Regierungschef die Entwicklung eines Narrativs gelungen, das pro- und antirussische Fidesz-Wähler zusammenbringe, analysiert Török. Die Vorstellung, dass Ungarn Frieden wolle und sich aus dem Krieg heraushalten werde, sei ein gemeinsamer Nenner für alle.
In ihrem wöchentlichen Leitartikel berichtet 168 Óra über eine bizarre Episode, anhand derer sich die Entwicklung der ungarisch-russischen Beziehungen infolge des Krieges nachvollziehen lässt: Vor fünf Jahren hatte die Universität Debrecen dem russischen Präsidenten Putin den Titel ihrer Ehrenbürgerschaft verliehen. Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine geriet die Alma Mater nunmehr in die Kritik. Es wäre der Uni natürlich peinlich gewesen, Putin diesen Ehrentitel abzuerkennen. Allerdings hätte sie es sich kaum leisten können, ihn auch weiterhin zu ihren Ehrenbürgern zu zählen. Schließlich entschied man, dass Putin überhaupt gar kein Ehrenbürger sei, weil sein für 2017 geplanter Besuch in Debrecen gar nicht stattgefunden und er daher die Dokumente seiner Ehrenbürgerschaft nie übernommen hatte.
Im Wochenjournal Demokrata äußert sich Levente Szikra zuversichtlich, dass die Wahlen von der amtierenden Regierung gewonnen würden. In den vergangenen zwölf Jahren habe Ungarn eine schwere Finanzkrise gemeistert, die Arbeitslosenquote auf ein Rekordtief gesenkt, bisher nie gesehene Familienbeihilfen verabschiedet und dem Druck aus Brüssel widerstanden, der die nationale Souveränität des Landes bedroht habe, macht der Mitarbeiter der regierungsnahen Denkfabrik Zentrum für Grundrechte geltend und ergänzt: Zuletzt habe die Regierung die richtige Antwort auf die Ukraine-Krise gefunden, indem sie sich aus dem Konflikt heraushalte und zugleich eng mit den Verbündeten zusammenarbeite.
Árpád W. Tóta stellt die Frage in den Raum, ob sich für die Opposition angesichts der enormen in den zurückliegenden zwei Jahren angehäuften Schulden ein Wahlsieg überhaupt lohnen würde. Unvermeidliche Härten wären die Folge und es wäre schwierig, den Menschen zu erklären, dass die vorherige Regierung daran schuld sei, erklärt Tóta in einem Artikel für Heti Világgazdaság. Es könnte vielleicht ratsamer sein, den Fidesz „die Suppe löffeln zu lassen, die er sich eingebrockt hat“. Dann könne die Opposition nach vier Jahren eine neue Ära für Ungarn einleiten, so Tóta abschließend.
(Via: budapost.de, Titelbild: Klára Dobrev (Demokratische Koalition) und ihr Mann Ferenc Gyurcsány bei den Wahlen zum Europäischen Parlament am 26. Mai 2019. (Mit ihren Kindern.) MTI/Balázs Mohai)