Die meisten europäischen Länder haben es vor, die staatlichen Beschränkungen in den kommenden Tagen zu mildern, die aufgrund der neuartigen Coronavirus-Epidemie früher durchgesetzt wurden. Soziale Distanzierung, Ausgangssperre und andere strenge Maßnahmen wurden ergriffen, um die Krankheitsausbreitung zu verlangsamen. Die Regierungen sagen, dass diese Kontrollen in den kommenden Tagen zurückgezogen, oder zumindest gelockert werden sollen und das Leben schrittweise „zur Normalität zurückkehren“ kann. Gastartikel von Miklós Verseghi-Nagy.
Die dafür zuständigen Beamten sagen, dass die Situation jetzt unter Kontrolle ist, und falls wir bestimmte Regeln der sozialen Distanzierung einhalten, können wir die Verschlechterung der Trends vermeiden. Das Virus bleibt jedoch ein Teil unseres Lebens, bis der Impfstoff endlich verfügbar sein wird.
Wir fragen uns vielleicht, ob dies ein „faktenbasierter Plan” oder nur ein „Wunschdenken“ ist.
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Was wir in den letzten Monaten von Epidemiologen gelernt haben ist folgendes: die Epidemie werde entweder dank der Impfung oder dem Erreichen der Herdenimmunität enden. Da die Experten davon ausgehen, dass ein großer Teil der infizierten Menschen keine Symptome haben, ist es theoretisch möglich, dass wir uns der Herdenimmunität nähern, ohne die tatsächliche Anzahl der Infizierten zu kennen. Um diese Theorie zu beweisen, werden willkürliche Proben von Bürgern entnommen, die keine registrierten COVID-19 Patienten sind, und sie werden auf den Antikörper des Coronavirus getestet. Soweit wir wissen, sind die Ergebnisse enttäuschend. Während manche Menschen tatsächlich gegen SARS-CoV-2 immun geworden sind, sind wir dennoch meilenweit von der Herdenimmunität entfernt.
Wie unterscheidet sich die heutige Situation von der Situation vor 6-8 Wochen?
Die Anzahl infizierter und potentiell ansteckender Personen ist nicht geringer. Es gibt keinen Impfstoff, keine Therapie. Die Herdenimmunität wurde noch nicht erreicht, tatsächlich ist die überwiegende Mehrheit der Gesellschaft von der Krankheit immer noch nicht betroffen. Gesundheitssysteme sind aber vielleicht besser vorbereitet, Kapazitäten wurden erhöht, lebensrettende Geräte sind vorhanden und wurden einsatzbereit gemacht.
Dennoch unterscheidet sich die Situation im Allgemeinen nicht grundlegend von der vor einigen Wochen, als die staatlichen Beschränkungen angekündigt wurden. Eines ist aber anders. Wir haben es erkannt, dass die Sperre nicht nachhaltig ist.
Während wir alles tun, was wir können, um Leben zu retten, entstehen andere sekundäre Probleme wie sinkende Wirtschaften, sprunghaft steigende Arbeitslosigkeit, Familie ohne weitere Ersparnisse, zunehmender Stress wegen der verlängerten Ausgangsbeschränkungen.
Wir zahlen einen hohen Preis für die Eindämmung der Ausbreitung der Krankheit. Wir sind gefangen, und es gibt keine offensichtliche Antwort auf das drängende Dilemma. Wir haben eine schlechte und eine noch schlechtere Wahl.
Bei den Überlegungen der Regierung sollen sowohl die primären als auch die sekundären Auswirkungen der Aufhebung oder die Verlängerung der Sperrmaßnahmen berücksichtigt werden. Da die Sekundäreffekte überwältigend destruktiv werden, gibt es keine andere Wahl als die Beschränkungen vorsichtig zu lockern und auf das Beste hinsichtlich des möglichen Wiederauftretens einer zweiten Epidemie-Welle zu hoffen.
Für uns Staatsbürger wird es eine neue Situation sein.
Bisher wurde uns gesagt, was wir tun dürften und was nicht. Einhaltung der Regeln war keine Frage der individuelleren Überlegung, der Verstoß wurde bestraft, angefangen von Verwarnungen bis hin zu hohen Geldstrafen.
Von nun an, dürfen wir ausgehen, und mehr oder weniger das tun, was wir getan haben, bevor unser Leben von dem Coronavirus getroffen wurde. Mit einer Ausnahme. Wir sind uns jetzt bewusst, dass unsere Freiheit ein potentielles Risiko für die Gesundheit von uns und anderen darstellt.
Ich sage nicht, dass wir weiterhin die freiwillige Quarantäne wählen sollten, wenn die staatlichen Beschränkungen schon aufgehoben sind. Wir können uns nicht jedes Mal einschüchtern lassen und Angst haben, wenn wir von zu Hause weggehen. Es gibt so viele Werte im Leben, die wir weiterverfolgen müssen.
Wir haben aber Verantwortung bei jeder Entscheidung, die wir treffen.
Dürfen wir zur Arbeit gehen? Ja natürlich. Dürfen wir zur Schule gehen? Ja, natürlich. Dürfen wir große gesellschaftliche Ereignisse organisieren? Keine gute Idee. Dürfen wir diesen Sommer Urlaub im Ausland machen? Vielleicht ja, vielleicht nicht. Dies sind all die Fragen, die wir von nun an für uns selbst beantworten müssen.
Aber das ist nicht neu, oder? Wenn wir unser Auto fahren, ist es uns bewusst, dass wir fossile Bernstoffe verbrennen, CO2 ausstoßen und unseren Anteil an der globalen Erwärmung haben. Wir tun etwas, das wir für wichtig halten, während wir unbeabsichtigt die negativen Auswirkungen auf die Umwelt steigern. Kinder lernen in der Schule die Wichtigkeit des Umweltschutzes, die Theorie des ökologischen Fußabdrucks, die Ursachen und die Folgen der Erderwärmung.
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Und wir alle wissen, dass wir Eigenverantwortung haben, weil diese komplexen Probleme nicht nur von Behörden gelöst werden können, indem sie bestimmte Regeln erstellen und einhalten. Selbstdisziplin, Selbstbeschränkung und Sparmaßnahmen stehen im Vordergrund, wenn wir über Eigenverantwortung sprechen.
Hier in Europa war unsere Haltung zur Begrenzung unseres eigenen ökologischen Fußabdrucks bisher schmerzlich weit entfernt von dem, was ausreichend und effektiv wäre. Wir haben jetzt eine neue Herausforderung. Sind wir bereit? Hoffen wir, dass es so ist. Und vertrauen wir darauf, dass unsere Antwort diesmal richtig sein wird.
(Der originelle Text erschien auf Hungary Today, Artikel geschrieben von Miklós Verseghi-Nagy, übersetzt von Borbála Verseghi-Nagy, Beitragsbild: MTI – Tibor Illyés)