Die Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise durch ein solidarisches Handeln in der Europäischen Union stand Mitte Mai im Mittelpunkt einer Videokonferenz des Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und des ungarischen Ministers für Innovation und Technologie Dr. László Palkovics. Als eine Konsequenz der aktuellen wirtschaftlichen Zwangslage werden in Europa Überlegungen laut, die globalen Lieferketten zugunsten einer regionalen Produktion zu verkürzen. Dies könnte für einige mitteleuropäische Ländern eine gute Gelegenheit sein, ausländische Investitionen in ihr Land zu locken. Länderbericht des Auslandsbüros Ungarn der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn sind ausgezeichnet. Deutsche Firmen sind die wichtigsten ausländischen Investoren im Land an der Donau und das Land steht auf Rang 14 der wichtigsten deutschen Handelspartner. Energiewirtschaft, Verkehr, Mobilität, Digitalisierung, Hochschulbildung sowie Forschung und Entwicklung stehen für einige der Sektoren, die im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit zukünftig stärker ausgebaut werden sollen, so die beiden Minister in der Videokonferenz. Bundesminister Altmaier betonte in einer Presseerklärung, dass „die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie ein zentrales Thema der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr dieses Jahres sein wird“. Ungarn wird die deutsche Regierung dabei unterstützen, erklärte Minister Palkovics.
Ungarn hat in den letzten acht Jahren einen bemerkenswerten Wirtschaftsaufschwung realisieren können, der nun von der Coronakrise stark bedroht wird. Neben der Senkung der Staatsverschuldung von über 80% auf unter 70% sowie einer beachtlichen Reduktion des Haushaltsdefizits stand vor allem der massive Rückgang der Arbeitslosigkeit im Mittelpunkt der ungarischen Wirtschaftspolitik. Während 2010 noch mehr als 10% Arbeitslosigkeit herrschte, waren es Anfang 2020 nur noch 3,5%. Das Versprechen der Regierung von 2010, eine Million neue Arbeitsplätze zu schaffen, wurde fast erfüllt.
Während vor zehn Jahren aufgrund weitreichend genutzter Freibeträge bei 10 Mio. Einwohnern gerade einmal 1,8 Mio. Personen Einkommenssteuer zahlten, belief sich diese Zahl im 4. Quartal 2019 auf 4,5 Mio. Eine Einkommenssteuer-Flat-Tax i.H.v. 16% (später 15%) wurde noch 2011 eingeführt, Freibeträge und Abschreibungsmöglichkeiten weitestgehend abgeschafft. Daneben blieb das Kindergeld konstant niedrig, aber die Steuerfreibeträge stiegen vor allem für Eltern von zwei, drei oder mehreren Kindern. Frauen mit vier Kindern sind lebenslang von der Einkommenssteuer befreit. Müttern wurde ein weiteres großzügiges Elterngeld gewährt, das bei der Rückkehr in das Erwerbsleben in voller Höhe weiterbezahlt wird.
Vor diesem Hintergrund der Entwicklung Ungarns in den letzten zehn Jahren sollen im Folgenden einzelne Maßnahmen gegen die negativen Folgen der Coronakrise für die Wirtschaft genannt werden.
Umfangreiches Maßnahmenbündel
Die ungarischen wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Bewältigung der Corona Pandemie setzen sich aus einem umfangreichen Maßnahmenbündel zusammen. Die wichtigsten Elemente sind dabei Kredit- und Steuererleichterungen für Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU) sowie Lohnausfallkompensationen für Arbeitnehmer.
Es entspricht der politischen Zielsetzung der ungarischen Regierung, den Menschen vor allem ein nachhaltiges Erwerbseinkommen zu ermöglichen. Es wurde daher eine Reihe von wirtschaftlichen Maßnahmen umgesetzt, Anreize für Arbeitslose und Unternehmen zu schaffen, damit wieder mehr Menschen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können. In diesem Kontext wurde auch das Kurzarbeitergeld, in Anlehnung an deutsche und österreichische Erfahrungen, für die Dauer von drei Monaten eingeführt. Dies ist europaweit das am kürzesten gezahlte und auf etwa 350 Euro pro Monat begrenzt. Das mit maximal etwa 450 Euro begrenzte Arbeitslosengeld gehört zu den in Europa am kürzesten gezahlten. Darüber hinaus wurde 2010 ein groß angelegtes Arbeitsbeschaffungsmaßnahmenprogramm (ABM-Programm) eingeführt, das in Hochzeiten mehr als 220.000 Menschen beschäftigte. Bis heute sank diese Zahl auf weniger als die Hälfte, viele dort Beschäftigte konnten erfolgreich in den primären Arbeitsmarkt integriert werden.
Ministerpräsident Viktor Orbán versprach in der Sitzung der Ungarischen Nationalversammlung vom 27. April 2020, dass es „keinen Ungarn geben werde, der nach Ablauf des dreimonatigen Arbeitslosengeldes kein Jobangebot seitens der Wirtschaft oder des Staates erhält.
Für jeden Arbeitsplatz, der durch das Virus vernichtet wurde, werden wir einen neuen schaffen
Hierbei spiegelt sich das Verständnis der ungarischen Regierung wider, die hohe Beschäftigungsquote zu sichern. Dass sich hierbei ein Großteil der staatlicherseits gemachten Angebote wohl auf eine bescheiden bezahlte Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen ABM-Programme bezieht, wurde wenig später eingeräumt.
Kreditmoratorium
Unternehmen und Privatpersonen profitieren von einem vom 18. März 2020 bis Ende des Jahres geltenden Kreditmoratorium für Kredite, die bis zum Stichtag 18. März 2020 ausbezahlt wurden. Tilgungen von Kapital und Zinsen sind dabei erst ab Januar 2021 wieder fällig, die Regelung gilt automatisch. Kreditgeschäfte zwischen Privatpersonen sind hierbei aber ausgenommen. Der Kreditnehmer kann frei entscheiden, die Schulden dennoch weiter abzubezahlen, kann sich jedoch jederzeit dazu entschließen, doch vom Moratorium Gebrauch zu machen. Auch nach dem Januar 2021 dürfen sich die monatlichen Raten nicht erhöhen, die Kreditlaufzeit ist entsprechend zu verlängern. Des Weiteren dürfen ungesicherte Verbraucherkredite mit maximal fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verzinst werden.
Steuererleichterungen
Die Frist der Erklärung und Zahlung der Unternehmens-, Gewerbe-, Kleingewerbe- und Kapitalertragssteuern wurde bis zum 30. September 2020 verlängert. Kleingewerbe-treibenden wurde bis 30. Juni 2020 die Steuer erlassen, in besonders von der Krise betroffenen Branchen wie Tourismus, Gastronomie, Hotellerie, Transport usw. entfallen weitestgehend die Steuer- und Sozialversicherungsabgaben bis zum 30. Juni 2020. Die (vom Gast an die Kommunen zu zahlende) Fremdenverkehrsabgabe wird bis zum 31. Dezember 2020 vom Staat übernommen. Für Arbeitnehmer, die unbezahlten Urlaub nehmen, ist seitens des Arbeitgebers lediglich der Krankenversicherungsbeitrag zu zahlen, dieser kann aber bis zu 60 Tage nach Ablauf der Gefahrenlage gestundet werden. Die für alle Arbeitgeber geltenden allgemeinen Sozialversicherungsbeiträge werden ab dem 1. Juli 2020 wie bereits im letzten Jahr geplant von derzeit 17,5% auf 15,5% gesenkt. Für vermögenswirksame Leistungen der in Ungarn sehr beliebten sog. Cafeteria-Zuwendungen (Essensmarken, Freizeit- und Hotelgutscheine) gilt bis zum 30. Juni 2020 ein von 32,5% auf 15% reduzierter Steuersatz, der jährliche zuwendbare Jahresbetrag steigt von derzeit 1.300 Euro auf etwa 2.300 Euro.
Eltern und Familien
Elterngeld, das während der Gefahrenlage ausläuft, wird automatisch bis zu dessen Beendigung ohne Abstriche weiterbezahlt. Zwangsversteigerungen oder Zwangsräumungen sind bis zum 30. Juni 2020 unzulässig. Die Familienbeihilfen im Bereich Baugeld oder Babykredit werden weiter kontinuierlich finanziert. Ferner wird bei beiden Konstruktionen eine vorübergehende Arbeitslosigkeit von sechs Monaten unberücksichtigt gelassen.
Kurzarbeitergeld
Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit zwischen 15 und 75% verkürzt wurde, können für eine Maximaldauer von drei Monaten 70% des ausfallenden Nettogehalts bis maximal 350 EUR pro Monat geltend machen. Nach Angaben des Stellv. Ministers für Innovation und Technologie wird dem Antrag innerhalb von acht Arbeitstagen stattgegeben, bis zum 14. Mai 2020 hätten fast 5.400 Arbeitgeber für gut 74.000 Beschäftigte von dieser Regelung Gebrauch gemacht. Nach den Angaben vom 8. Mai seien 30% der Antragsteller dem Handel, jeweils 13% der verarbeitenden Industrie sowie Gastronomie und Hotellerie zuzuordnen. 60% der beantragenden Arbeitgeber seien Mikrounternehmen, weitere 26% Kleinunternehmen und 10% mittelständische Unternehmen, lediglich 4% Großunternehmen. Zudem wurde bekannt gegeben, dass bisher rund 163.000 Personen um Arbeitslosengeld ersucht hätten.
Nullprozentkredite für KMUs
Dank eines von der Ungarischen Notenbank bereitgestellten unverzinslichen Kreditvolumens von rund 4 Mrd. Euro können KMUs einen Betrag von bis zu 57 Mio. Euro für einen Zeitraum von 3 bis 20 Jahren bei einem Maximalzins von 2,5% p.a. aufnehmen. Der Kredit kann beispielsweise genutzt werden für Investitionen, Modernisierungen, Löhne und Gehälter, Ablösung bestehender Kredite oder sogar Unternehmenskäufe. Von dieser Regelung wollen und werden offenbar auch KMUs Gebrauch machen, die von der Krise im eigentlichen Sinne nicht betroffen sind, diese Zeit aber für Investitionen und einen Ausbau der Kapazitäten nutzen wollen.
Finanzierung der Maßnahmen
Nach Angaben der ungarischen Regierung sollen die wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung der negativen Folgen des Coronavirus hauptsächlich durch Einsparungen im Staatsapparat, in den Ministerien und in der nachgelagerten Verwaltung erfolgen. Darüber hinaus sollen aber auch andere Beteiligte in die Finanzierung einbezogen werden, so etwa die Parteien, die Kommunen sowie Handelsunternehmen und Banken. Während den Parteien für dieses Jahr die Hälfte, d.h. rund 3,3 Millionen Euro, der staatlichen Finanzierung gestrichen wurde (zugleich sollen aber Regelungen in Kraft traten, die Fraktionsmittel in diesem Jahr ausnahmsweise auch für Parteizwecke einsetzen zu dürfen), müssen die Kommunen auf die ihnen bisher zustehenden 40% der Einnahmen von der Kraftfahrzeugsteuer, d.h. etwa 95 Millionen Euro, verzichten und diese an den Staat überantworten. Die Einzelhandelssondersteuer soll sich auf 100 Millionen Euro belaufen, die Bankensondersteuer auf ca. 155 Millionen Euro.
Debatte um die Sonderwirtschaftszone in Göd
Besonders von den Kommunen wurde Kritik an diesem Finanzgebaren laut. Sie argumentieren, dass den höheren Ausgaben in der Coronakrise, wie etwa für Schutzmaßnahmen oder der Versorgung älterer oder sozial benachteiligter Personengruppen, nun auch noch niedrigere Einnahmen entgegenstünden.
Der zusätzliche Entzug eines Teils der Kraftfahrzeugsteuern bringe einige Kommunen in finanzielle Nöte
Außerdem gilt vom 6. April 2020 aufgrund Regierungsverordnung eine Kostenfreiheit für die Parkraumbewirtschaftung, damit entfallen weitere wichtige kommunale Einnahmen.
Neben den üblichen Mindereinnahmen bei den Kommunen muss sich die Stadt Göd mit einer landesweit besonderen und neuen Lage auseinandersetzen: der Einrichtung per Dekret der ersten Sonderwirtschaftszone Ungarns rund um die dortige Produktionsstätte von Samsung. In einer Sonderwirtschaftszone fließen die Gewerbesteuereinnahmen nicht direkt an die Kommunen, sondern zunächst an die Komitatsverwaltung (entspricht in etwa einer Bezirksverwaltung).
Das 2001 fertig gestellte Werk in Göd wurde 2008 aufgrund der Weltwirtschaftskrise vorübergehend stillgelegt, aber ab 2017 wiedereröffnet. Die Produktion wurde auf Batterien für Elektroautos umgestellt und seitdem versucht Samsung, das Werk auszubauen und die Kapazitäten zu steigern. Die ungarische Regierung unterstützt das Unternehmen dabei. Wie in Ungarn überall, fallen die Gewerbesteuereinnahmen bislang der Kommune zu, in der das Unternehmen tätig ist. Die konkrete Zahl ist nicht bekannt, aber die Stadt Göd erzielte im Jahre 2018 Gewerbesteuereinnahmen i.H. von etwa 2 Mio. Euro. Es ist anzunehmen, dass der Großteil von Samsung stammt. Diese 2 Mio.Euro sind ca. 10% der Einnahmen der Stadt Göd. Die vom Bürgermeister vorgebrachte Zahl „ein Drittel“ der Steuereinnahmen ist eher eine großzügige Aussicht auf zukünftige mögliche Steuersteigerungen. Die Sonderwirtschaftszone beträgt rund ein Fünftel der bisherigen Fläche der Stadt. Bei den Kommunalwahlen im Herbst 2019 siegte in der Stadt der gemeinsame Kandidat der Opposition, der von Momentum nominiert wurde. Der Stadtrat ist mehrheitlich in der Hand der nationalen Opposition. Der Bürgermeister entwickelt aber nach Medienberichten schnell Animositäten zu den ihn tragenden Parteien und dem Vizebürgermeister. Diese wiederum werfen dem Bürgermeister vor, herrschaftlich aufzutreten und Informationen vorzuenthalten.
Im Rahmen der Corona-Sondervollmachten kann die Regierung Sonderwirtschaftszonen einrichten. Per Dekret erklärte die ungarische Regierung das Samsung-Werk in Göd als landesweit erste Sonderwirtschaftszone. Damit gehen nicht nur das Gewerbesteueraufkommen der Zone an die Komitatsverwaltung des Komitats Pest, sondern auch die umfangreichen Planungsbefugnisse. In der Komitatsselbstverwaltung hat Fidesz/KDNP die Mehrheit. Nach Medienberichten soll es in Göd hinsichtlich der Werkserweiterung zu einem Streit gekommen sein. Der Bürgermeister Balogh soll der Investition sehr skeptisch gegenüberstehen. Der Kritik eines Teils der Anwohner und von Bürgerinitiativen räumt er wohl einen hohen Stellenwert ein. Vor dem Hintergrund der guten südkoreanisch-ungarischen (Wirtschafts-) Beziehungen will die Regierung unbedingt die Erweiterung umsetzen. Samsung gilt als ein strategisch wichtiges Unternehmen und will in Göd rund 1. Mrd. Euro investieren und so 2.700 Arbeitsplätze schaffen.
Die Regierung erklärte, dass im Mittelpunkt der Entscheidung die Sicherstellung von Arbeitsplätzen in Krisenzeiten stehe. Dass dabei die Steuereinnahmen an das Komitat gehen, sei nur ein Nebeneffekt. Nach Darstellung des Abgeordneten des Wahlkreises von Göd in der Ungarischen Nationalversammlung, Bence Tuzson MdNV, sollen von diesen Steuereinnahmen die Kommunen Göd, Szöd, Csomád und Dunakeszi profitieren, also nicht nur die Stadt Göd.
Die in der Corona-Zeit getroffenen Dekrete der Zentralregierung enden automatisch mit dem Ende der Epidemie. Damit fallen wieder Planung und Steuern in den Bereich der Stadt Göd. Bis dahin dürften aber einige nicht reversible Entscheidungen im Hinblick auf die Erweiterung entstanden sein bzw. die Regierung überlegt, die Einrichtung der Sonderwirtschaftszone durch ein Gesetz zu regeln.
Von möglichen höheren Steuereinnahmen würde mittel- und langfristig auch die Stadt Göd profitieren. Kritiker bezeichneten jedoch das Vorgehen der Regierung als eine illegale Ausnutzung der Epidemiegesetzgebung für anders gelagerte Zwecke. Einige Kommentatoren argumentieren hingegen, dass die Sicherung von Arbeitsplätzen gerade in Corona bedingten Krisenzeiten unerlässlich sei und die Regierung im Sinne des Gesetzes die Folgen der Epidemie reduzieren wolle.
Debatte um EU-Mittel für Ungarn
Die ungarische Opposition behauptete vor einigen Wochen, dass die Europäische Kommission ca. 5,6 Mrd. Euro für Ungarn zur Bekämpfung des Corona-Virus zur Verfügung stelle. Die ungarische Regierung streitet dies ab und erklärte, „keinen einzigen Cent zusätzlich“ für diese Zwecke erhalten zu haben.
Tatsache ist, dass die EU-Kommission eine flexiblere Handhabung und Abrechnung der EU-Kohäsionsmittel zulässt, so werden beispielsweise Umschichtungen zwischen einzelnen Fonds und Regionen zugelassen und auch eine Finanzierungsquote von 100% akzeptiert. Außerdem werden zwecks Liquiditätssteigerung der Mitgliedsstaaten die Zahlungen der Vorschüsse für das Jahr 2020 vorgezogen, im Falle von Ungarn i.H.v. 608 Mio. Euro, die bereits überwiesen wurden. Außerdem sind die Vorschüsse des Jahres 2019 nicht bis Juni 2020, sondern erst fünf Jahr später abzurechnen. Ungarn konnte letztes Jahr 855 Mio. Euro nicht verausgaben. Diese Mittel werden normalerweise im nächsten Jahr, d.h. 2020, nachträglich mit neuen Projekten belegt. Sollte Ungarn dies nicht gelingen, braucht das Land diese Differenz erst fünf Jahre später zurückzuzahlen. Die Leistungen für Ungarn umfassen also eine Vorauszahlung und ggfs. eine Stundung nichtverausgabter Mittel.
Da Ungarn bei Planung und Abruf der EU-Kohäsionsfonds mit an vorderster Stelle steht, können Umschichtungen zugunsten der Corona-Eindämmung so gut wie nicht vorgenommen werden. Die Mittel für das Jahr 2020 sind weitestgehend verplant und mit vielen Zuwendungsempfängern wurde bereits kontrahiert. Eine Aufkündigung der Förderungszusagen wäre auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht wünschenswert und wurde von der ungarischen Regierung auch zu keinem Zeitpunkt angestrebt. Damit kann Ungarn aus den regulären Kohäsionsfonds kaum Mittel für die Abwehr des Corona-Virus aufwenden.
Die auch in den deutschen und internationalen Medien kursierende Behauptung, Ungarn würde 5,6 Mrd. Euro zusätzlich erhalten, basiert auf einem Missverständnis, auf einer sehr fragwürdigen Simulation der Kommission. Die hypothetische Annahme der Kommission beruhte darauf, dass Ungarn die o.g. nichtverausgabten 855 Mio. Euro in Projekte – oder der Corona-Abwehr – investiert. Diese Eigenleistung (Ungarn hat eine Quote von 15%) könnte dann zusätzlichen Mitteln i.H.v. 4,75 Mrd. Euro aus EU-Geldern generieren, also insgesamt 5,6 Mrd. Diese Berechnung basiert also auf der irrigen Annahme, dass die EU zusätzliche Gelder bereitstellen würde und dann der Eigenanteil eine entsprechende Ko-Finanzierung durch die EU auslösen könnte. Dieses irreführende Gedankenspiel brachte einige Korrespondenten fälschlicherweise zum dem Schluss, dass es hier „Mehreinnahmen“ seitens Ungarn in dieser Höhe gäbe. Es gibt aber keine Zusatzmittel und damit erhält Ungarn lediglich die o.g. Liquiditätserleichterung.
Ein zusätzlicher Effekt in der Debatte ist, dass der zu Jahresanfang bei 330 HUF/EUR gehandelte Ungarische Forint (HUF) mit der Corona-Krise stark an Wert verloren hat, er notiert Mitte Mai bei 355 HUF/EUR. Zwischenzeitlich wurde er sogar bei bis zu 369 HUF/EUR gehandelt. Dies bedeutet, dass die in Euro fließenden Mittel aus Brüssel in Ungarn erheblich an Wert zugenommen haben.
Abschließende Bemerkung
Die ungarische Regierung ist bemüht, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der ersten Phase der Corona-Krise durch zusätzliche Ausgaben aber vor allem auch aus Umschichtungen der Haushalte, Kredite, Bürokratieabbau, Steuererhöhungen und Einsparungen abzufedern. In der zweiten Phase, der Reaktivierung der Wirtschaft, wird die Schaffung bzw. der Bestandsschutz von nachhaltigen Arbeitsplätzen im Mittelpunkt der Maßnahmen stehen. Über die Sicherung von Löhnen und Gehältern soll letztlich auch die Kaufkraft gestärkt und damit Konjunkturimpulse gegeben werden. Die Einschränkung der staatlichen Handlungsfähigkeit durch ein enges Korsett öffentlicher Schulden und die mögliche Abhängigkeit von nationalen und internationalen Kreditgebern soll so möglichst vermieden werden.
(Länderbericht des Auslandsbüros Ungarn der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Bericht wurde von Frank Spengler, Leiter des Auslandsbüros Ungarn der Konrad-Adenauer- Stiftung und Bence Bauer LL.M, Projektkoordinator vorgelegt, Via: kas.de/de/web/ungarn, Beitragsbild: MTI – Sándor Ujvári)