Geht es nach Ministerpräsident Viktor Orbán, wird das Land einschließlich seiner Schulen wieder öffnen, sobald 2,5 Millionen Ungarn ihre erste Coronavirus-Impfung erhalten haben. Unterdessen tobt der heftige und parteipolitisch gefärbte Streit über die Pandemie-Strategie der Regierung ungebremst weiter. Presseschau von budapost.de.
Károly Szalay von Magyar Demokrata äußert sich schockiert, dass die Oppositionsparteien dem Beispiel des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány folgen und unisono die Impfstrategie der Regierung kritisieren würden. Der regierungsnahe Kolumnist wirft der Opposition vor, die Ungarn vor den östlichen Vakzinen unter anderem mit der Behauptung abzuschrecken, dass die Produkte aus Russland und China ohne ordentliche Überprüfung genehmigt worden seien. Diese Strategie werde jedoch nach hinten losgehen, meint Szalay und merkt an, dass Ungarn die zweithöchste Impfrate innerhalb der EU habe und die Bewohner des Landes die Anstrengungen ihrer Regierung zur Beendigung der Pandemie zu schätzen wüssten.
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Dávid Megyeri findet es widerlich, dass Oppositionspolitiker das Vertrauen in Impfstoffe untergraben, sich jedoch gleichzeitig gerne impfen lassen würden, um ihr eigenes Leben zu schützen. Als Beispiel erwähnt der regierungsfreundliche Kommentator der Tageszeitung Magyar Nemzet den ehemaligen Ministerpräsidenten Gyurcsány. Dieser habe sich mit Biontech impfen lassen, während Mitglieder seiner Partei den Ungarn von der Impfung mit den Vakzinen aus östlicher Produktion abraten beziehungsweise in jüngster Zeit Zweifel an der Sicherheit des Impfstoffs von AstraZeneca streuen würden.
Auf Origo weist der Soziologe Károly Bozsonyi darauf hin, dass die länderübergreifenden Vergleichsdaten zur Coronavirus-Sterblichkeit methodisch mangelhaft und nicht vertrauenswürdig seien. Der Berater des regierungsnahen Think Tanks Zentrum für Grundrechte argumentiert, die einzelnen Länder wendeten unterschiedliche Verfahren bei der Erfassung von Angaben zur Sterblichkeit an. Einige würden alle infizierten Verstorbenen als Coronavirus-Opfer betrachten, während andere Länder nur diejenigen zählten, deren Tod unmittelbar auf das Virus zurückgeführt werden könne.
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In Ungarn werde auch eine mit dem Coronavirus infizierte, aber an den Verletzungen eines Autounfalls verstorbene Person als Corona-Opfer registriert, erklärt Bozsonyi. Daher sei es nicht verwunderlich, wenn Ungarn statistisch betrachtet eine der höchsten Sterblichkeitsraten der Welt habe. Als alternative und bessere Methode empfiehlt Bozsonyi, die Mortalitätsrate im Zusammenhang mit Coronaviren anhand der jährlichen Sterblichkeitsstatistik zu bestimmen. Bei einem solchen Vergleich liege die ungarische Übersterblichkeitsrate von 8,7 Prozent im vergangenen Jahr unter dem EU-Durchschnitt von 10,6 Prozent und betrage weniger als die Hälfte der spanischen, polnischen und belgischen Quoten.
Als Oppositionspartei habe der Fidesz im Jahr 2009 die Bedrohung durch die H1N1-Epidemie heruntergespielt und das Impfprogramm der sozialistisch-liberalen Regierung kritisiert, erinnert Gábor Balogh in einem Artikel des Nachrichtenportals Azonnali. Unter anderem habe der Fidesz dem damaligen Kabinett vorgeworfen, öffentliche Gelder mit Hilfe von mit dem Kauf der H1N1-Impfstoffe beauftragten Offshore-Firmen abzuzweigen. Zudem hätten mehrere Fidesz-Politiker offen eine Impfung verweigert, bemerkt der konservative Kommentator. Folgerichtig habe die regierende Linke den Fidesz bezichtigt, mit einer Schwächung des Vertrauens in Impfstoffe Menschenleben aufs Spiel zu setzen. In der aktuellen Epidemie seien die Akteure dieselben, allerdings hätten sie die Rollen getauscht, lautet das abschließende Fazit Baloghs.
Péter Németh von Népszava kritisiert sowohl den ehemaligen Ministerpräsidenten Gyurcsány als auch die gegenwärtige Regierung. Der linke Kommentator bezeichnet eine Äußerung Gyurcsánys, in der er die Regierung mit Massenmördern verglichen habe , als „unnötig und unwahr“. Gyurcsánys Statement sei genauso absurd wie die Behauptung des ehemaligen Kanzleramtsministers János Lázár, wonach die Impfstoffe aus dem Osten 600.000 ungarische Leben gerettet hätten, während der Mangel an westlichen Impfstoffen 20.000 Todesfällen verursacht habe. Möge die Linke diesen Stil hinter sich lassen und auf einen positiveren Diskurs zurückgreifen, lautet die Hoffnung des Journalisten.
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In einem Gastbeitrag für Élet és Irodalom bestreitet Ferenc Falus, ehemaliger oberster Amtsarzt des Landes und oppositioneller Bürgermeisterkandidat bei den Budapester Kommunalwahlen 2014, dass das EU-Impfstoffprogramm gescheitert sei. Die EU-Strategie zur Verteilung von Impfstoffen habe kleineren EU-Mitgliedsstaaten einen gleichwertigen Zugang zu den Vakzinen ermöglichen wollen. Nach Ansicht des Mediziners greift die Regierung die EU an, um die Aufmerksamkeit von ihrem eigenen Versagen bei der Eindämmung der Pandemie abzulenken.
(Titelbild: MTI – Attila Balázs)