Nach dem Terroranschlag in Wien hat die ungarische Terrorabwehr-Einheit (TEK) sofort Amtshilfe geleistet und mit der Polizei und dem Militär zusammen die Grenze gesichert. Doch gibt es in Ungarn keine höhere Terrorgefahr als vor dem Wiener Anschlag – sagt der Experte für Sicherheitspolitik. Georg Spöttle, der auch ein Ex-Mitglied einer Antiterroreinheit ist, betont: „Die Ideologie der ISIS lebt weiter, und sie versucht in Europa Terror zu verbreiten. Dinge, wie die Mohammed Karikaturen kommen für die Islamisten wie gerufen.“ Es mag sein, so der Experte, dass Flüchtlinge, die auf dem legalen Weg nach Ungarn gekommen sind, mit dem radikalen Islam sympathisieren. „Sie haben hier aber kein Hinterland“. INTERVIEW.
„Die Bedrohung durch Terror in Ungarn ist nicht gestiegen.” – dies äußerte der leitende Direktor des ungarischen Zentrums für Terrorabwehr (TEK) nach dem Terroranschlag in Wien. Doch wie sehr betrifft das Attentat vom Montag die ungarische Terrorabwehr? Haben die Österreicher in irgendeiner Form Hilfe angefordert? Beginnt in so einem Fall die Kommunikation automatisch und braucht man erhöhte Aufmerksamkeit innerhalb Ungarns nach solch einem Anschlag?
Die Partnerdienste wie TEK und COBRA aber auch die Geheimdienste beider Länder arbeiten seit Jahren eng zusammen.
Die Migrationswelle im Jahre 2015 und die ständigen Versuche von Migranten und Schlepperbanden haben gezeigt, dass diese Herausforderungen nur gemeinsam bekämpft werden können
Das zeigt z.B. der Fall vor wenigen Wochen, wo sich ein deutscher Schlepper, im Laufe einer Polizeikontrolle in Ungarn, mittels einer Pistole und einer Handgranate getötet hat. Die fünf Syrer, die er nach Österreich bringen wollte, sind geflüchtet. Drei haben es geschafft über die Grenze zu fliehen, sie wurden von österreichischen Polizisten festgenommen. Die gemeinsamen Ermittlungen laufen hier noch, auch die deutschen Behörden sind eingeschaltet.
Nach dem Terroranschlag haben Einheiten der TEK sofort Amtshilfe geleistet und mit der Polizei und dem Militär zusammen die Grenze gesichert. Die Lage war unübersichtlich und man ging davon aus, dass es mehrere Angreifer gab.Es musste sichergestellt werden, dass flüchtige Terroristen nicht über die Grenze nach Ungarn entkommen können.
Die Bedrohung ist in Ungarn, zum Glück, nicht so hoch, wie in Österreich, Deutschland oder Frankreich, weil wir hier kaum Einwanderer aus islamischen Ländern haben.
Es mag sein, dass Flüchtlinge, die auf dem legalen Weg nach Ungarn gekommen sind, mit dem radikalen Islam sympathisieren. Sie haben aber kein „Hinterland“, sie werden hier keine Helfer finden, die Waffen oder Sprengstoff besorgen können oder ein Versteck anbieten. Sie werden in Ungarn auf verlorenen Posten stehen.
Die österreichische Polizei, die COBRA (Terrorabwehr) und die Rettungseinheiten haben mit unglaublicher Schnelligkeit ihre Aufgaben beendet. In wie weit ist Ungarn auf so ein Ereignis vorbereitet?
TEK, Polizei und der Katastrophenschutz veranstalten regelmäßig Terrorabwehr- und Katastrophenübungen, in denen der Ernstfall simuliert wird. Die Einheiten werden zusätzlich von den Luftrettungsdiensten unterstützt. Die Übungen simulieren Fälle, wo es mehrere Dutzend Verletzte und Todesopfer gibt. Die Teilnehmer üben seit Jahren miteinander, so ist gewährleistet, dass im Falle eines Falles schnell und professionell gehandelt wird.
Die ungarische Regierung setzt ihre Politik gegen Migration konsequent fort. Ist die Bedrohung dadurch kleiner oder größer? Kann es sein, dass das das Land gerade deshalb im Fadenkreuz steht?
Auszuschließen ist es nicht. Die Großzahl der Migranten hasst förmlich Ungarn, weil wir die Grenzen geschlossen halten und sie nicht weiterkönnen.
Aber gerade dieser konsequente Grenzschutz und diese Migrationspolitik haben bis jetzt geholfen, dass wir keinen einzigen Terroranschlag hatten und so kaum Straftaten durch Migranten.
Leider kam es gerade vor, dass ein afghanischer Staatsangehöriger, welcher hier als anerkannter Flüchtling gelebt hat, ein schweres Sexualdelikt begangen hat. Nach der Tat setzte er sich nach Österreich ab, aber kurze Zeit später wurde er in einem Zug festgenommen.
Halten Sie es für möglich, dass sich in Ungarn auch Menschen aufhalten, die unter besonderer Beobachtung des Geheimdienstes stehen, da sie mit ISIS Kontakt haben?
Als Ex-Mitglied einer Antiterroreinheit halte ich so gut wie nichts für ausgeschlossen. Ich kenne aber viele Muslime, die hier leben. Sie kamen als Studenten nach Ungarn, haben hier geheiratet, die Kinder haben oft schon ungarische Namen. Diese Leute haben sich hier integriert und arbeiten als Arzt oder haben Geschäfte. Die Anzahl der Muslime beläuft sich aber auf wenige Hundert. Die Masse ist problematisch.
Da, wo viele Millionen leben, gibt es natürlich eine größere Tendenz, dass sich einige radikalisieren. Die Geheimdienste haben es deshalb hier in Ungarn wesentlich leichter.
Der österreichische Innenminister hat zugegeben, dass vor dem Attentat Fehler im staatlichen System aufgetreten sind. Man wusste, dass der Terrorist die Absicht hatte, Munition in der Slowakei zu kaufen, dass er Kontakt zu radikalen Islamisten in Wien hatte, welche wiederum von der Terrorabwehr unter Beobachtung stehen. Könnte man sagen, dass das Attentat hätte verhindert werden können?
In der Vergangenheit haben die Geheimdienste in Österreich, in Deutschland mehrere Terroranschläge verhindert. Sie alle arbeiten sehr sehr gut. Es kommen täglich tausende von Informationen rein, da es in Österreich viele Radikale und Gefährder gibt.
Leider Gottes kommt es vor, das wichtige Informationen verloren gehen. Es sollte nicht sein, passiert aber doch. Das war jetzt der Fall und es kostete Menschenleben. Von Fehlern kann und muss man lernen.
Nach dieser Schwere des Attentats, was ist die Regel? Wie lange bleibt Österreich in Bereitschaft? Kann man damit rechnen, dass zum Beispiel die gegenwärtigen Streitkräfte in Wien für einen längeren Zeitraum verstärkt werden?
Die Bereitschaft bleibt, da die Gefahr nicht gebannt ist. In Wien und in ganz Österreich leben noch genügend Radikale. Die einzige Lösung wäre, diese Menschen auszuweisen, zur Not sogar die österreichische Staatsangehörigkeit abzuerkennen.
Kann man oder ist es überhaupt nötig, die Vorgehensweise der europäischen Terrorabwehr und/oder des Geheimdienstes zu verschärfen?
Nur in Frankreich leben circa eine Million radikale Muslime, die meisten sind junge Menschen.
Es ist unmöglich jeden einzelnen ständig zu beobachten, sei es elektronisch oder mit Agenten. Mehr Mitarbeiter einzustellen und die technischen Voraussetzungen zu verbessern kostet Geld, aber es ist dringend zu empfehlen.
Die Anschläge der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass es noch Lücken gibt.
Eine Kollektivstrafe – zum Beispiel die Bestrafung der Täterfamilie, als Abschreckung, wäre das eine Möglichkeit? Wenn nicht, welche Strategie ist gut für die europäischen Staaten?
Kollektive Abschiebung wäre denkbar, es kam oft vor, dass der Täter sich innerhalb der Familie radikalisiert hat.
Könnte Nulltoleranz die Lösung sein? Sollte man bei dem kleinsten Anzeichen einer Radikalisierung denjenigen aus der Gesellschaft ausschließen?
Der einzige Weg meines Erachtens. Wer sich in radikalen Moscheen oder Koranschulen wohlfühlt und mit Islamisten chattet oder Webseiten von Terrororganisationen wie Islamischer Staat besucht, Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoff runterlädt, muss abgeschoben werden.
Wir dürfen nicht tolerieren, dass Menschen uns anlügen.
Sie erzählen bei der Anhörung, dass sie von Terror und Krieg geflüchtet sind und Wochen später werden sie schon straffällig oder geraten ins Visier von Geheimdiensten.
Ist es zu erwarten, dass sich die Terrorwelle nach dem Wiener und den französischen Attentaten in Europa fortsetzt?
Die Frage ist nicht ob, sondern wann. Es wird wieder und wieder passieren.
Welche Länder könnten davon betroffen sein?
Alle Länder in Europa und der USA.
Warum und wogegen kämpft der Islamische Staat in Europa überhaupt?
Der IS, oder wie sie sich selbst bezeichnen, das Kalifat, will einen Gottesstaat errichten, ähnlich wie die Taliban damals in Afghanistan. Zeitweise haben sie es auch geschafft. Sie besetzten für Jahre ein Gebiet in Syrien und in Teilen des Irak, welches so groß war, wie England. Sie wollten, dass alle Christen und die wenigen im Gebiet lebenden Juden zum Islam übertreten. Wer sich geweigert hat wurde getötet. Auch Schiiten wurden als Feinde betrachtet.
Die USA, die Russen und die Iraner haben die Schreckensherrschaft beendet. Viele Islamisten sind geflüchtet, nicht Wenige kamen nach Europa. Die Ideologie lebt weiter, und der IS versucht hier Terror zu verbreiten.
Dinge, wie die Mohammed Karikaturen kommen für die Islamisten wie gerufen. Sie schwören Rache und mobilisieren radikale Jugendliche europaweit. Zurzeit ist der IS sehr aktiv. Sie betreiben Webseiten fast in allen Sprachen, um junge Menschen weltweit anzusprechen. Wie es die Attentate in Nizza, Berlin und Wien zeigen, diese Strategie ist erfolgreich.