Nach Einschätzung eines liberalen Analysten hat sich Ministerpräsident Viktor Orbán verkalkuliert. Er hätte sich nicht auf einen Frontalzusammenstoß mit den einflussreichsten europäischen Regierungen über ein Junktim zwischen der Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien und Finanztransfers der Union an ihre Mitgliedsländer (Rechtsstaatskonditionalität) einlassen dürfen. Ein regierungsnaher Kommentator ist dagegen der Meinung, dass sich Ungarn gegen die Willkür der Unionsbürokraten zur Wehr setzen müsse. Presseschau von budapost.de.
Im Laufe der Debatte über die Durchsetzung rechtsstaatlicher Normen habe das polnisch-ungarische Tandem mehrere „nicht aufgezwungene strategische Fehler“ begangen, schreibt Dániel Hegedűs im Wochenmagazin Magyar Narancs.
Der erste, so der wissenschaftliche Mitarbeiter des German Marshall Fund, sei die Ablehnung des von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorgelegten Konzept der Rechtsstaatskonditionalität gewesen. Dabei habe es sich um einen verwässerten Vorschlag gehandelt, der Ungarn und Polen die Vermeidung finanzieller Sanktionen ermöglicht hätte. Das Europäische Parlament habe zwar etwas Entschiedeneres im Auge gehabt, aber hätten alle Regierungen geschlossen hinter dem deutschen Dokument gestanden, hätte es eine reelle Chance auf Verabschiedung gehabt, ist Hegedűs sicher.
Ein weiterer Fehler sei die Entscheidung, sowohl den Coronavirus-Wiederaufbaufonds als auch den Haushalt der Union für die kommenden Jahre zu blockieren. Damit hätten Budapest und Warschau die bereits zunehmenden Anfeindungen gegenüber den beiden Ländern weiter verschärft, was es ihren Gegnern künftig leichter machen werde, ihren Willen durchzusetzen.
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Ein dritter strategischer Fehler, den der liberale Experte anspricht, bestehe im praktischen Ignorieren der feindlichen, von den skandinavischen sowie den Benelux-Ländern aufgebauten Koalition. Dabei handele es sich um ein starkes Bündnis und die Beteiligten schienen entschlossen, den Widerstand Ungarns und Polens zu brechen, schreibt Hegedűs.
Péter Törcsi sieht das existierende Problem darin, dass die Europäische Kommission sowohl ihren Zuständigkeitsbereich als auch die Auslegung des Rechtsstaatsbegriffs ausweite. Insbesondere, so einer der führenden Analysten der regierungsfreundlichen Denkfabrik Zentrum für Grundrechte auf Mandiner, hielte die Kommission die Rechte von LGBTIQ-Personen für besonders vordringlich und – ganz willkürlich – für ein Kriterium der Rechtsstaatlichkeit. Sobald dieses Prinzip akzeptiert sei, werde jeder illegale Migrant wissen, dass er sich einfach als der LGBTIQ-Gemeinschaft zugehörig erklären und behaupten müsse, in seinem Herkunftsland als solcher verfolgt worden zu sein, um automatisch als politischer Flüchtling anerkannt zu werden.
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Ungarn lehne die Rechtsstaatskonditionalität ab, die der Europäischen Kommission das Entscheidungsrecht darüber verleihen würde, wer rechtsstaatlich agiere und wer nicht. Denn Ungarn wolle seine eigene Auslegung der Ehe als Verbindung von Mann und Frau sowie das Verbot, das bei der Geburt eines Menschen festgestellte Geschlecht später im Personenstandsregister zu ändern, beibehalten. Törcsi schließt seinen Artikel mit dem Hinweis darauf, dass Regierungen, die ihre Positionen auf den gesunden Menschenverstand stützen würden, „den willkürlichen Rechtsauslegungen progressiver Unionsbürokraten im Wege stehen sollten“.
(Via: budapost.de, Beitragsbild: MTI/Pressestelle des Premiers/Benko Vivien Cher)